Unia-Chefin über Kosten und Nutzen der Ausländer für AHV, IV und Arbeitslosenkasse
«Soziale Sicherheit fördert die Integration»

Ausländer belasten die Sozialversicherungen und werden überdurchschnittlich oft arbeitslos. Aber sie arbeiten genauso hart wie Schweizer, sagt Gewerkschaftschefin Vania Alleva. Zu Sozialfällen würden sie wegen der Arbeitsbedingungen, nicht wegen ihrer Herkunft.
Publiziert: 24.07.2017 um 13:44 Uhr
|
Aktualisiert: 12.09.2018 um 08:50 Uhr
Gewerkschaftschefin Vania Alleva erklärt die überdurchschnittliche Belastung der Sozialwerke durch Portugiesen: «Viele Portugiesen sind im Gastgewerbe oder auf dem Bau tätig. Diese Branchen kennen starke saisonalen Schwankungen. »
Foto: PETER SCHNEIDER
Interview: Nico Menzato

BLICK: Frau Alleva, Ausländer belasten gewisse Sozialversicherungen in der Schweiz stark. Das kann doch nicht im Sinn der Gewerkschaften sein!
Vania Alleva:
 Es ist falsch, Schweizer und Ausländer gegeneinander auszuspielen. Unsere Sozialversicherungen sind Versicherungen für alle, die in diesem Land leben und arbeiten – und so mithelfen, sie zu finanzieren. Ihr Nutzen ist, dass sie den Leuten bei Arbeitslosigkeit, Invalidität und im Alter Sicherheit geben. Zudem fördert soziale Sicherheit die soziale Integration. 

Ausländische Staatsbürger beziehen mehr Arbeitslosengelder, als sie in diesen Topf einzahlen. Wie erklären Sie sich diesen Fakt?
Leider werden Ausländer von Arbeitgebern immer noch als Konjunkturpuffer betrachtet, obwohl viele von ihnen seit langem in der Schweiz leben. Gerade in Branchen mit saisonalen Schwankungen arbeiten besonders viele ausländische Arbeitnehmende. In der Zwischensaison werden sie von den Arbeitgebern entlassen. Darüber hinaus müssen dringend strukturelle Diskriminierungen behoben werden: So ist es kein Geheimnis, dass die Stellensuche gerade für junge Leute mit ausländisch klingenden Namen oft schwierig ist. 

Sitzen gewisse Ausländer ganz bewusst den Schweizern auf dem Portemonnaie?
Nein. Ausländer arbeiten genauso hart wie Schweizer – und umgekehrt.

Bei gewissen Nationalitäten ist das Missverhältnis frappant. Wieso werden Portugiesen so oft arbeitslos?
Viele Portugiesen sind im Gastgewerbe oder auf dem Bau tätig. Diese Branchen kennen starke saisonale Schwankungen. Gerade auf dem Bau sind portugiesische Arbeitskräfte in den Sommermonaten willkommen, im Winter wird ihnen gekündigt, und sie sind auf Arbeitslosengeld angewiesen.

Auch die Sozialhilfequote der Ausländer ist fast dreimal so hoch wie bei den Schweizern.
Viele Migranten arbeiten in Branchen mit Tieflöhnen. Eine Krankheit, eine Scheidung, ein Jobverlust kann diese Menschen in arge Bedrängnis bringen. Im Asylbereich ist es hingegen ein Problem, dass Asylsuchende die ersten drei Monate gar nicht arbeiten dürfen und auch danach kaum Arbeit finden. Da müssen wir handeln und Geflüchtete rasch in den Arbeitsprozess integrieren. 

Politiker, welche die Personenfreizügigkeit als Segen betrachten, argumentieren stets damit, dass die ausländischen Arbeitnehmer die AHV entlasteten. Ist diese kurzfristige Sichtweise nicht fatal?
Nein. Die AHV ist die nachhaltigste Altersvorsorge. Denn in die AHV zahlen alle ein. Auch der frühere CS-Chef Brady Dougan musste auf seinen Millionenlohn volle AHV-Beiträge bezahlen, während er in der Schweiz arbeitete. Er wird aber dereinst nicht mehr AHV erhalten als normale Arbeitnehmende. Diese solidarische Finanzierung macht die AHV so wichtig für alle Leute mit tiefen und mittleren Einkommen. 

Rechte Politiker machen Stimmung und reden von ausländischen IV-Schmarotzern. Dabei subventionieren die Ausländer die IV – zum Nutzen der Schweizer. Haben Sie eine Erklärung, weshalb Schweizer im Vergleich zu den Ausländern überdurchschnittlich oft von der IV abhängig werden?
Die Wahrscheinlichkeit, eine IV-Rente beziehen zu müssen, hängt nicht vom Pass ab, sondern von der Art der Erwerbstätigkeit. Auf dem Bau ist die Wahrscheinlichkeit, aufgrund eines Unfalls invalid zu werden, am höchsten. Andererseits häufen sich IV-Fälle infolge psychischer Leiden in Branchen, wo die Leute grossem Stress ausgesetzt sind, was auch Dienstleistungsjobs betrifft. Dies zeigt: Nicht die Herkunft, sondern die Arbeitsbedingungen bestimmen die Wahrscheinlichkeit einer Invalidität.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?