«Ich finde es unglaublich spannend, in Bern zu sein, und bin absolut begeistert», schwärmt Susanne Vincenz-Stauffacher. Die FDP-Nationalrätin sitzt in ihrer Kanzlei in St. Gallen. Ihre Tochter und persönliche Mitarbeiterin Lisa Vincenz (25) ist mit dabei, in der Ecke liegt «Das Businessmagazin für Ladies mit Drive». Die 54-Jährige ist noch nicht lange in Bern, sie machte sich bisher vor allem als Präsidentin der FDP-Frauen und mit der Lancierung einer Initiative für die Individualbesteuerung einen Namen. Und: Sie wird als heisse Kandidatin für die Nachfolge Petra Gössis (45) als Parteipräsidentin gehandelt.
Das Feuer für die Politik lodert schon lange in Vincenz-Stauffacher. Früh wird sie in einem liberalen Elternhaus politisiert und nach dem Grundsatz aufgezogen: «Wem es gut geht, der gibt der Gesellschaft etwas zurück.» Vincenz-Stauffacher zu Blick: «Es gab auch eine Revoluzzerphase, in der ich mich von der SP besser abgeholt fühlte. Doch mir passte deren Anspruchshaltung nicht. Ich will selbst handeln, das muss nicht der Staat für mich tun.» Und so kehrte sie zur FDP zurück.
Engagiert bei Gleichstellungsthemen
Die zielstrebige Vincenz-Stauffacher studierte Jura, machte sich mit 25 selbständig und wurde früh Mutter. «Da bin ich auf die Welt gekommen. Man ging beispielsweise automatisch davon aus, dass ich nun zu Hause bleiben würde», sagt die Anwältin für Familienrecht. Für sie war klar: Sie will sich für Gleichstellung und bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie einsetzen. Trotzdem mag Vincenz-Stauffacher den Begriff Feministin nicht: «Für mich tönt das zu sehr nach Opferhaltung. Darum gefällt mir die Bezeichnung bürgerliche Feministin deutlich besser.»
Nach jahrelanger Arbeit im Hintergrund unter anderem in der kantonalen Parteileitung von St. Gallen wagte sie sich ins Rampenlicht. Sie rückte 2018 auf dem ersten Ersatzplatz in den Kantonsrat nach und wurde kurz darauf in den Nationalrat gewählt.
Sie will auf dem Klimakurs bleiben
Auf eigenen Wunsch sitzt sie dort in der nicht unbedeutenden Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (Urek). «Ich habe immer gesagt: Wenn ich es nach Bern in die Urek schaffe, setze ich mich für eine mehrheitsfähige Lösung zum CO2-Gesetz ein», sagt die sonst positiv eingestellte Nationalrätin und verzieht bedauernd das Gesicht. Das Gesetz ist an der Urne gescheitert. «Ja, es hat mich durchaus betrübt. Aber ich hänge nie lange enttäuschenden Entscheidungen nach. Wir müssen nun die mehrheitsfähigen Teile einzeln durchbringen», meint sie pragmatisch.
Die St. Gallerin steht voll hinter Gössis Klimakurs. Einen Kurswechsel hält die ausgebildete Mediatorin für falsch. «Es wäre ein grosser Fehler, würden wir nun davon abrücken», so Vincenz-Stauffacher.
Zu links für das Präsidium?
In- und ausserhalb der Partei traut man Vincenz-Stauffacher durchaus die Funktion einer Brückenbauerin zu. Jene, die bereits mit ihr zusammenarbeiteten, attestieren ihr Sachlichkeit, Engagement und Lösungsorientierung. «Vincenz-Stauffacher weiss, was sie will, ohne eine Karrieristin zu sein. Sie hat Charisma und ist mutig. Wie auch andere Kandidaten bringt sie alles fürs Präsidium mit», sagt Doris Fiala (64), Zürcher Nationalrätin und ehemalige Präsidentin der FDP-Frauen.
Vincenz-Stauffachers grösstes Handicap ist allerdings ihr Linksdrall. Die «bürgerliche Feministin» engagiert sich für die Opferhilfe, bezahlbare Kitas, ist Ombudsfrau und hat keine Scheu, sich auch mal mit der SP zusammen für die gesellschaftlich Schwächeren einzusetzen. Sogar von einer vorübergehenden Frauenquote liess sie sich überzeugen. Vincenz-Stauffacher sagt dazu: «Ich wirke manchmal sehr viel linker, als dass ich tatsächlich bin.» Ihr Credo sei die «Eigenverantwortung plus»: «Jeder, der machen kann, soll dies tun. Und jene, die es nicht können, müssen wir unterstützen.»
Die grosse Frage ist: Will Vincenz-Stauffacher das Amt überhaupt übernehmen? «Ich bin völlig überrascht vom Interesse an mir», so die St. Gallerin. Sie liebe ihre Arbeit bei den FDP-Frauen wie auch in ihrer Kanzlei und suche eigentlich keine neue Herausforderung. «Ein Co-Präsidium wäre vielleicht eine Möglichkeit. Aber ich werde mir das gut überlegen, sobald alle Fakten auf dem Tisch sind», meint sie. Ihre Tochter Lisa ist jedenfalls überzeugt, dass sie eine gute Präsidentin abgeben würde, verschiedene Strömungen zusammenführen und neben dem Klima wieder andere Themen der FDP bewirtschaften könnte.