Statt Pendenzen abzutragen, schafft der Nationalrat neue
Sondersession war für die Katz'

Ziel der Sondersession ist es jeweils, dass der Nationalrat die Vorstossflut aus den eigenen Reihen abarbeitet. Das klappt aber nicht wirklich.
Publiziert: 19.04.2024 um 16:53 Uhr
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Aktualisiert: 19.04.2024 um 17:21 Uhr
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Drei Tage sind die 200 Nationalratsmitglieder extra zur Sondersession zusammengekommen. Ihr Ziel: Die Vorstossflut aus den eigenen Reihen abzuarbeiten.
Foto: keystone-sda.ch
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Daniel BallmerRedaktor Politik

Manchmal erinnert die Schweizer Politik an die griechische Mythologie. Etwa an Sisyphus. Dieser war von den Göttern dazu verdammt worden, einen Felsbrocken einen Berg hinaufzurollen. Kurz vor dem Gipfel aber donnerte der Stein jedes Mal wieder ins Tal hinunter – und der Verdammte konnte von vorn beginnen. Bis in alle Ewigkeit.

Ähnlich erging es diese Woche dem Nationalrat. Auch er ist selbst schuld an seinem Schicksal. Drei Tage lang musste die grosse Kammer nachsitzen, um möglichst viele Vorstösse aus den eigenen Reihen abhaken zu können. Seit 2009 ist der Nationalrat fast jedes Jahr zu einer Sondersession verdammt, weil man mit der Arbeit nicht hinterherkommt.

Mehr neue Vorstösse eingereicht als alte abgebaut

58 Motionen oder Postulate konnte der Nationalrat in den drei Sessionstagen erledigen. Neun weitere Vorstösse seien zur Bearbeitung an den Bundesrat überwiesen worden, 15 gingen an den Ständerat, rechnen die Parlamentsdienste vor. Macht total 82 Vorstösse, bei denen man einen Schritt weiter kam.

Die Crux: In derselben Zeit haben die Nationalrätinnen und Nationalräte insgesamt 78 neue Vorstösse eingereicht – und damit den Pendenzenberg sofort wieder auf praktisch die gleiche Höhe aufgehäuft. Womit wir wieder bei der griechischen Tragödie wären.

Vorstossflut verursacht hohe Kosten

Die Vorstossflut bedeutet für die Bundesverwaltung viel Arbeit – und damit Kosten. 2007 schätzte die Bundeskanzlei die durchschnittlichen Kosten für einen Vorstoss auf 6120 Franken. Allein bei den 78 neu eingereichten Motionen, Postulaten und Interpellationen wäre das fast eine halbe Million. Und seit 2007 dürften die Kosten noch gestiegen sein.

Erst kürzlich stellte Politologe Adrian Vatter gegenüber der «Tagesschau» von SRF den Sinn solcher Sondersessionen infrage. Denn es ist keine Ausnahme, dass mehr Vorstösse daraus resultieren als weniger. Für Vatter stellt sich die Frage, ob der Rhythmus mit jährlich vier dreiwöchigen Sessionen und einer Sondersession noch zeitgemäss ist. Wie in Kantonen und Gemeinden «könnte man sich wöchentlich, nur abends, treffen», schlägt er vor. Bisher scheiterten allerdings fast alle Anläufe, den Parlamentsbetrieb neu zu organisieren.

Parlamentarier versuchen es mit Appellen an die Eigenverantwortung der Ratsmitglieder, sich mit persönlichen Vorstössen zurückzuhalten – genauso erfolglos.

SVP-Nationalrat Andreas Glarner (61) fordert nun, dass Sondersessionen zum Abbau des Pendenzenbergs künftig «unentgeltlich» zu leisten sind. Er ist überzeugt, dass sich der Rat «automatisch disziplinierter verhalten» würde. So liessen sich aufwendige Sondersessionen allenfalls ganz vermeiden, deren Kosten er auf noch mal über 500'000 Franken schätzt. Seine Forderung unterstreicht er – wie könnte es anders sein – mit einem eben neu eingereichten Vorstoss.

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