Ständerat entscheidet über Vergewaltigung
In Schweden braucht es schon ein Ja zum Sex

Der Ständerat entscheidet heute über eine neue Definition von Vergewaltigungstatbestand. Neu soll nur ein Ja auch Ja bedeuten. So wie schon in Schweden.
Publiziert: 07.06.2022 um 16:22 Uhr
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Aktualisiert: 07.06.2022 um 17:21 Uhr
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Katarina Bergehed ist Frauenrechts-Spezialistin bei Amnesty International Schweden.
Foto: Amnesty International Schweden
Lea Hartmann und Sermîn Faki

Eine Vergewaltigerin? Das gibt es nach Schweizer Recht nicht. Nur Männer können verurteilt werden, wenn sie eine Frau zu Sex zwingen. So steht es in Artikel 190 des Strafgesetzbuches. Der umgekehrte Fall, ebenso wie die Vergewaltigung von jemandem desselben Geschlechts, ist im Gesetz nicht vorgesehen.

Eine Vergewaltigung ist zudem nur dann eine Vergewaltigung, wenn das Opfer mit physischer oder psychischer Gewalt zum Sex genötigt wird. Nein sagen reicht nicht. Und nicht Ja sagen schon gar nicht.

Sex nur mit Zustimmung

Nun soll sich das ändern. Heute Dienstag entscheidet der Ständerat über eine neue Definition des Vergewaltigungs-Tatbestands. Aus Sicht von Rechtsexperten ist das längst überfällig. 22 Strafrechtsprofessoren forderten vor zwei Jahren in einem offenen Brief Justizministerin Karin Keller-Sutter (58) dazu auf, das Zustimmungsprinzip rechtlich zu verankern.

Die Schweizer Sektion der Menschenrechtsorganisation Amnesty International startete ausserdem eine Petition, die 37'000 Einzelpersonen unterschrieben haben und über 40 weitere Organisationen unterstützen. Sie wollen, dass jeder Sex ohne Einwilligung rechtlich als Vergewaltigung gilt. Die Zustimmung kann dabei entweder mit Worten erfolgen oder durch ein Verhalten, das eindeutig als Ja zu verstehen ist. Der eingängige Slogan der Kampagne, die Amnesty parallel dazu lanciert hat: «Erst Ja, dann ahh».

Die Ständeräte und Ständerätinnen dürften sich allerdings nicht auf die Forderung einlassen. Erwartet wird, dass sie sich für die Formulierung «Nein heisst Nein» entscheiden.

Vorbild Schweden

Vorbild für die Befürworter des «Nur Ja heisst Ja» ist Schweden. Wie jetzt in der Schweiz waren es auch im nordischen Königreich Juristen und Organisationen der Zivilgesellschaft, die an vorderster Front für die Änderung kämpften. «Die Reform wurde heftig diskutiert – davor, aber auch danach», sagte Katarina Bergehed (55), Frauenrechts-Spezialistin von Amnesty Schweden, vor einiger Zeit zu BLICK.

Inzwischen gebe es aber kaum noch kritische Stimmen – im Gegenteil. «Alle Staatsanwälte, mit denen ich gesprochen habe, sagten, dass sie zu Beginn skeptisch gewesen seien. Aber jetzt, da sie mit dem neuen Gesetz arbeiten, sehen sie eindeutig die Vorteile», so Bergehed. Es seien schon mehrere Fälle vor Gericht gekommen, die «unter keinen Umständen» unter der alten Gesetzgebung als Vergewaltigung gewertet worden wären.

So kam ein Mann in Schweden vor Gericht, der an seinem Polterabend eine Frau mit aufs Hotelzimmer genommen hatte. Der Heiratswillige hatte ihr mehrfach Avancen gemacht, doch sie brachte klar zum Ausdruck, dass sie nicht interessiert sei. Später hat er gegen ihren Willen trotzdem mit der Frau geschlafen – ohne dabei Gewalt anzuwenden. «Mit dem alten Gesetz wäre das vielleicht sexueller Missbrauch gewesen, sicher aber keine Vergewaltigung», so Menschenrechtsexpertin Bergehed. Nun wurde er wegen Vergewaltigung verurteilt.

Nicht nur mehr, sondern auch härtere Strafen

Wie stark die Zahl der Anzeigen und Verurteilungen aber tatsächlich steigt, lässt sich laut Bergehed noch nicht verlässlich sagen. Die schwedische Regierung habe eine Studie in Auftrag gegeben, die dieser Frage nachgehen soll. Die Ergebnisse sollen im Sommer vorliegen.

Das schwedische öffentlich-rechtliche Radio hat aber das Zwischenfazit gezogen, dass das neue Gesetz nicht nur zu mehr Verurteilungen, sondern auch zu härteren Strafen führe. 60 Urteile wegen Vergewaltigung sind im ersten Jahr nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes gefällt worden. Bei gut jedem zehnten sei das neue Gesetz entscheidend gewesen. In mindestens jedem sechsten Fall habe es zudem zu längeren Gefängnisstrafen geführt.

Noch nicht viel geändert hat sich jedoch in den Köpfen der Schwedinnen und Schweden. Bergehed zitiert eine Umfrage, laut der junge Frauen und Männer das neue Gesetz zwar kennen. Sie glauben aber nicht, dass es Einfluss hat auf ihr Verhalten. Für die Menschenrechtsexpertin ist darum klar: Auch in Schweden gibt es noch viel zu tun.

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