SP-Polithoffnung Samira Marti
Nur gegen Funiciello hat sie verloren

SP-Nationalrätin Samira Marti hat gute Chancen aufs Fraktionspräsidium. Selbst die politischen Gegner finden nur lobende Worte.
Publiziert: 18.06.2023 um 11:22 Uhr
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Aktualisiert: 18.06.2023 um 11:23 Uhr
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SP-Politikerin Samira Marti war erst 24 Jahre alt, als sie 2018 in den Nationalrat nachrutschte.
Foto: www.samira-marti.ch
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Camilla AlaborRedaktorin

Samira Marti (29) ist zwölf Jahre alt, als sie erfährt, dass ihre Sekundarschule im basel-landschaftlichen Reigoldswil vermutlich schliessen muss. Der Kanton schrieb wegen Steuersenkungen jahrelang rote Zahlen und musste sparen – ausgerechnet bei der Bildung. «Das erschien mir falsch», erzählt Marti später. Sie nahm an Demos teil, wehrte sich mit ihren Klassenkameradinnen gegen die Pläne des Kantons. Der Widerstand hatte Erfolg: Am Ende blieb die Schule offen.

Steile Polit-Karriere

Der Vorfall politisierte sie. Während ihrer Gymi-Zeit trat Samira Marti der Juso und SP bei – und stieg dort schnell auf. Mit 23 Jahren war sie Vizepräsidentin der Kantonalpartei, ein Jahr später gelang ihr der Sprung in den Nationalrat. Ihr einziger Misserfolg bisher: die Kandidatur für das Juso-Präsidium. An ihrer Stelle schnappte sich Tamara Funiciello (33) den Posten.

Vielleicht kein Zufall, denn wo Funiciello laut und bestimmt auftritt und auch vor Provokationen nicht zurückschreckt, ist Marti eher zurückhaltend. Die Beschreibung als «provokative junge Frau» in den Medien stört sie. «Das lese ich zwar immer wieder, aber es beschreibt mich nicht.» Sie würde sich vielmehr als «hartnäckig, aber anständig» charakterisieren, sagt sie.

Traumberuf: Journalistin

Heute ist die Juso-Niederlage verdaut – und Marti hat gute Chancen, einen der wichtigsten Posten im Bundeshaus zu übernehmen: das Fraktionspräsidium. Damit wäre sie dafür zuständig, die SP-Parlamentarier auf Linie zu halten.

Als Kind hatte sie allerdings ein anderes Berufsziel, wie sie am Donnerstag einer Baselbieter Schulklasse verriet, die im Bundeshaus zu Besuch war: «Ich wollte als Journalistin um die Welt reisen und aufdecken, was schiefläuft.»

Die Schüler, eine Sekundarklasse aus Sissach BL, sitzen in einem grossen Zimmer und sollen der Politikerin ihre Fragen stellen. Doch manche von ihnen nuscheln die Frage derart schüchtern in ihr T-Shirt, dass es eher ein Raten als ein Verstehen ist.

Politikerin mit viel Gespür

Marti fragt ein, zwei Mal nach und erklärt gleichzeitig, dass sie «nicht so gut höre», wofür sie sich entschuldigt. Ob das wirklich der Fall ist oder Marti den Kindern lediglich die Angst vor dem Fragen nehmen will, bleibt offen. Sicher ist: Sie gibt sich Mühe, die Fragen der Kinder auf möglichst einfache Art zu beantworten – und rutscht doch immer wieder in die Politikersprache ab. Wenn sie von der «Brille der sozialen Gerechtigkeit» oder von «Armutsbetroffenen» spricht, lässt die Aufmerksamkeit der Schüler nach.

Das überrascht. Denn Marti ist bekannt für ihr Gespür: Sie weiss meist, mit welchen Ideen sie auf Politiker anderer Parteien zugehen kann. Und anders als manche linken Parlamentarier reagiert sie nicht aufgebracht, wenn Kollegen aus dem bürgerlichen Lager ihre Sicht bei schwierigen Themen wie Flüchtlingen oder Armut nicht teilen.

Dies erklärt vermutlich, warum Marti trotz ihrer Juso-Vergangenheit in Bundesbern kaum negative Reaktionen provoziert, im Gegenteil: Von ihren Ratskolleginnen erhält die SP-Nationalrätin durchgehend Bestnoten.

Auch SVPler loben sie

Marti sei ein «Polittalent», findet GLP-Politikerin Corina Gredig (35): «Sie ist eine Schnelldenkerin, zugänglich und schafft es, Allianzen zu schmieden.» FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt (29) nennt sie «fleissig, dossierfest und rhetorisch begabt»: Wer gegen sie antrete, habe es nicht einfach.

Selbst SVP-Nationalrat Gregor Rutz (50) hat für Marti nur lobende Worte übrig. «Sie argumentiert fundiert, ist beharrlich und umgänglich.» Die beiden haben schon mehrmals zusammengearbeitet. In der Frage, wie sich das Parlament in Fällen von Notrecht einbringen soll, zum Beispiel.

Tatsächlich hat Marti keine Scheu davor, auf den politischen Gegner zuzugehen – und auf diese Art Mehrheiten zu suchen. Ihr jüngster Coup gelang ihr diese Woche: Der konservativ geprägte Ständerat sagte Ja zu ihrem Vorstoss «Armut ist kein Verbrechen».

Überzeugt sogar den Ständerat

Damit machte Marti eine Verschärfung des Ausländerrechts rückgängig. Entscheidend war die breite Unterstützung durch 80 Organisationen, von der katholischen und reformierten Kirche über die Caritas bis hin zu den Kantonen. Sie alle weibelten bei den Ständeräten für ein Ja. Das Resultat: Künftig soll Ausländern, die seit über zehn Jahren in der Schweiz leben, beim unverschuldeten Bezug von Sozialhilfe keine Ausweisung mehr drohen.

Dass ein linkes Anliegen im Ständerat eine Mehrheit findet, ist aussergewöhnlich.So wie auch Martis Studienfach – sie studierte Volkswirtschaft – für eine linke Politikerin eher ungewöhnlich ist. «Ich wollte verstehen, wie unsere Welt funktioniert», erklärt Marti. «Warum die Ungleichheiten grösser werden – und an welchen Schrauben man drehen muss, um das zu verhindern.»

Welsche Konkurrenz fürs Fraktionspräsidium

Sie werde sich eine Kandidatur fürs Fraktionspräsidium gut überlegen, sagt Marti. «Es ist eine spannende Aufgabe, miteinander Lösungen zu suchen mit dem Ziel, die soziale Schweiz voranzubringen.» In ihrer Partei hat sie viele Unterstützer, die Juso-Fraktion etwa steht hinter ihr. Doch hat sie, die in ihrer Freizeit gerne jasst, einen Makel: Sie kommt, wie das Co-Präsidium der Partei, aus der Deutschschweiz.

Zwar stellt die SP derzeit zwei welsche Bundesräte. Dennoch dürften auch die Romands Anspruch auf das Fraktionspräsidium erheben. Einer der potenziellen Kandidaten ist Samuel Bendahan (43), SP-Nationalrat aus der Waadt. Er denke darüber nach, bestätigt Bendahan auf Anfrage. Einen Entscheid habe er aber noch nicht gefällt. Die Wahl für die Nachfolge des derzeitigen Fraktionschefs Roger Nordmann (50) findet im September statt.

GLP kann SP Sitze streitig machen

Und es gibt noch einen weiteren möglichen Stolperstein auf dem Weg zum Fraktionspräsidium: die Wahlen im Oktober. Die erstarkte GLP könnte der SP einen der Sitze streitig machen. Samira Marti ist dennoch zuversichtlich. «Nationale Wahlen funktionieren anders als auf kantonaler Ebene», sagt sie. Sie sei deshalb zuversichtlich, dass die SP ihre beiden Sitze werde halten können.

Sicher ist: An ihrem mangelnden Einsatz soll es nicht liegen. «Ich werde im Wahlkampf alles geben.» So wie eigentlich immer in der Politik.

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