Vor zwei Wochen stoppte der Berner SVP-Regierungsrat Pierre Alain Schnegg (58) die Schultests – und vertuschte, dass unzählige Corona-Infektionen unentdeckt blieben. SonntagsBlick machte den Skandal publik, worauf Schnegg die Zeitung der «Verleumdung» bezichtigte. Den Bericht widerlegen konnte er jedoch nicht.
Vor allem aber verlor der Gesundheitsdirektor kein einziges Wort über die Kinder und Eltern, die sich in falscher Sicherheit wiegten. So wie Sarah Gaspar (15) aus Mühlethurnen BE: «Wegen des falschen Tests wusste ich tagelang nichts von meiner Infektion und habe mich nicht isoliert. Dann habe ich Papi angesteckt.»
Sarah geht in der Stadt Bern zur Schule und beteiligte sich an den wöchentlichen Tests ihrer Schule. So auch an einem Tag Anfang September, als sie sich krank fühlte: «Mir war nicht wohl, ich war angeschlagen und hatte Husten.» Doch sie erhielt noch am selben Abend den negativen Bescheid des Schultests. «Deshalb ging ich von einer harmlosen Erkältung aus.»
Ihr Vater Olivier traute der Sache nicht und veranlasste für Sarah einen privaten PCR-Test. Zwei Tage später dann der Schock: Das Ergebnis war positiv – und Familie Gaspar fassungslos. «Meine Frau, Sarahs jüngere Schwester und ich liessen uns ebenfalls testen», sagt der Vater. Doch für die Eltern bestand eigentlich gar kein Grund zur Sorge – wenn es nach der Fachgesellschaft Pädiatrie Schweiz geht: Diese hält in einem neuen Papier fest, Kinder würden kaum je Erwachsene anstecken und Massentests seien unnötig. Der Kanton Bern hat denn auch prompt auf dieses Papier verwiesen, um Kritik am Stopp der Schultests abzuwehren.
Wie wenig das Statement der Kinderärzte mit der Realität der Schüler und Eltern zu tun hat, erlebte Sarahs Vater, als er das Resultat seines eigenen Tests erhielt: «Auch ich war infiziert!» Er bekam hohes Fieber und Atemprobleme, lag eine Woche lang im Bett. «Noch jetzt kann ich kaum Treppen steigen. Ich habe Depressionen und schwere Schlafstörungen. Zum Glück bin ich geimpft, sonst hätte ich sterben können.» Für Sarah ist klar: «Wäre der Spucktest in der Schule positiv ausgefallen, hätte ich mich früher isoliert und Papi vielleicht nicht angesteckt.»
Kein Einzelfall
Familie Gaspar ist kein Einzelfall: Reto Müller* (45) unterrichtet an einer Mittelschule im Kanton Bern. Der Lehrer wurde stutzig, als in der ersten Woche nach den Sommerferien unter zahlreichen Schülern kein einziger positiver Fall gefunden wurde. Müller sagt: «In der zweiten Schulwoche informierten mich mehrere Eltern, ihr Kind sei doch an Covid erkrankt. Da wurde mir klar, dass etwas nicht stimmt.» Der Lehrer ist frustriert: «Dass das Labor in Münsingen offenbar nachlässig getestet hat, macht mich wütend.»
Tatsächlich analysierte dieses Labor sämtliche Proben der Schultests im Kanton Bern – und übersah unzählige Infizierte. Doch Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg will von einem Fehler nichts wissen. Stattdessen kritisierte er am Montag die beiden Labors, die jenes in Münsingen auf Weisung des BAG ersetzten – und die bedeutend mehr Infizierte fanden. Diese beiden Labors hätten viele falsche positive Resultate geliefert, behauptete Schnegg am Montag. Und: «Niemand ist in der Lage zu sagen, welches Labor richtig gearbeitet hat.» Das BAG widersprach Schnegg umgehend, denn falsche positive Resultate sind bei PCR-Tests extrem selten.
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Hinzu kommt: Hätte der Regierungsrat sich erkundigt, mit welchem Test das Labor in Münsingen die Proben analysierte, hätte er sich wohl nicht so weit aus dem Fenster gelehnt. Denn Münsingen setzte zwar einen anerkannten PCR-Test ein. Doch der ist lange nicht so sensibel wie die führenden Alternativen: Er ist elf mal weniger empfindlich als der Allplex-Test der koreanischen Firma Seegene und gar 1000-mal weniger sensibel als der Cobas-Test von Roche. Heisst: Ihm gehen viel mehr positive Fälle durch die Lappen. Genau diese Alternativen aber benutzen die beiden anderen Labore. Kein Wunder, entdeckten sie deutlich mehr Erkrankte.
Im Kanton Bern häufen sich unterdessen die Ausbrüche an den Schulen.Und der Widerstand gegen Schnegg wächst: Eine Petition zur Wiederaufnahme der Massentests mit 1400 Unterschriften landete am Freitag in seinem Briefkasten. Andrea von Büren (41), Mitinitiantin und Mutter zweier Kinder in der Unterstufe sagt: «Der Wechsel zu den Ausbruchstests bei schweizweit steigenden Covid-Zahlen ist für die Eltern nicht nachvollziehbar. Zudem werden bei Ausbruchstests die asymptomatischen Kinder zu spät erkannt und das Virus kann sich in Schulen und Familien ungehindert verbreiten.»
Editorial zum Test-Debakel
Um die ehemalige Berner Mitte-Politikerin Edith Leibundgut (35) formiert sich nun eine weitere Gruppe: «Kinder schützen jetzt». Darunter sind zahlreiche Mitglieder von «ProtectTheKids», «Bildung aber sicher» und schulcluster.ch. Leibundgut ist Dozentin, Fachfrau für Gesundheit und Mutter dreier Kinder. Sie sagt: «Wir wollen Eltern mit Kindern unter zwölf, die sich nicht impfen lassen können, eine Stimme geben und konstruktive Lösungen auf den Tisch bringen.» Einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen konnte sie diese Woche Bundespräsident Guy Parmelin (61) vorlegen.
«Bisher waren die Eltern leise», sagt Leibundgut, «Das wird sich jetzt ändern.»