Ein wackelnder Stockzahn, eine abgebrochene Zahnspange, eine sich anbahnende Zahnfleisch-Entzündung und ein Weisheitszahn, der gezogen werden müsste: Silvana Ammanns (67) Gebiss ist, die Frau drückt es selbst nicht schmeichelhafter aus, eine Baustelle. Doch den Gang zum Zahnarzt kann sich die Seniorin aus La Chaux-de-Fonds NE nicht leisten.
Auf 4000 Franken belief sich der Kostenvoranschlag des Zahnarzts. Geld, das Ammann nicht hat. Rund 2500 Franken erhält sie jeden Monat von der AHV und der Pensionskasse, ein paar Hundert Franken verdient sie sich mit Botendiensten für eine Apotheke dazu. «Ich habe etwa 600 Franken für Essen, Mobilität und Kleidung übrig», sagt sie. In La Chaux-de-Fonds komme sie damit knapp durch. «Aber ich konnte es mir nie leisten, zum Zahnarzt zu gehen.»
Zu arm für den Zahnarzt
So wie Silvana Ammann geht es vielen Menschen in der Schweiz. Laut dem Bund gibt es rund 250'000 Personen, die aus finanziellen Gründen nicht zum Zahnarzt gehen, obwohl sie sollten. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2019. Viel weniger sind es, die wegen des knappen Budgets auf den Arztbesuch verzichten. Der Unterschied erklärt sich laut Bund dadurch, dass Zahnbehandlungen nicht durch die obligatorische Krankenversicherung gedeckt sind.
In Neuenburg soll sich das nun ändern. Am kommenden Sonntag stimmt der Westschweizer Kanton über eine Initiative der linken Parteien ab, welche die Schaffung einer obligatorischen Zahnversicherung fordert. Finanziert werden soll sie über einen Lohnabzug von 1 Prozent, der je zur Hälfte vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer gezahlt wird, sowie aus der Kantonskasse. Geschätzte Kosten: 110 Millionen Franken pro Jahr.
«Der äussere Eindruck ist mir wurst»
Neuenburg wäre der erste Kanton mit einer obligatorischen Zahnversicherung. In der Waadt und Genf sind ähnliche Forderungen vor einigen Jahren vom Volk abgeschmettert worden. Im kleinen, progressiven Kanton hat das Anliegen aber durchaus Chancen. 2017 hat der Kanton als erster einen Mindestlohn eingeführt und gehört zu den wenigen Kantonen, in dem Ausländer ein Stimm- und Wahlrecht haben.
Silvana Ammann jedenfalls hofft auf ein Ja. «Es ist einfach absurd, dass bestimmte Körperteile von der Grundversicherung ausgenommen sind», findet sie. Es gehe ihr nicht darum, ein Zahnpasta-Lächeln zu haben. «Der äussere Eindruck ist mir wurst.» Vielmehr machen der Seniorin die Schmerzen zu schaffen.
Auf gewisse Lebensmittel verzichte sie, weil sie sie nicht mehr beissen könne, erzählt Ammann. «Haselnüsse vermeide ich, Koteletts kann ich vergessen.» Ammann bleibt nichts anderes übrig, als die Zähne zusammenzubeissen.