Hekmatullah Azizi (32) freute sich über die Zusage. Eben hatte er in einem Restaurant in Basel einen Job als Pizzaiolo gefunden. Doch sein Jubel währte nur kurz. Denn Azizi lebt im Kanton Zürich – und die Behörden verweigerten ihm einen Wohnsitzwechsel. Für den Afghanen ein Problem: Die Arbeitszeiten in der Gastrobranche sind unregelmässig, die Pausen zwischen Mittag- und Abendservice lang. Weite Anreisewege sind da ein Hindernis.
Azizi fand einen Weg, den Job dennoch anzutreten. Unter der Woche wohnte er bei seiner Mutter, die in Basel-Land lebt. Dennoch ärgert er sich über das Verhalten der Behörden. «Sie sollten helfen, statt uns Steine in den Weg zu legen.»
Azizi ist einer von 45'000 vorläufig Aufgenommenen in der Schweiz – und mit seinen Problemen nicht allein. Für Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene gelten je nach Kanton strikte Regeln, wenn es um die Aufnahme einer Arbeit geht.
Ein Team um ETH-Migrationsforscher Dominik Hangartner (42) hat in einer neuen Studie untersucht, welchen Effekt diese Beschränkungen haben. Sein Fazit: «Die Restriktionen sind mit ein Grund für die tiefe Erwerbsquote der Geflüchteten.» Das schade auch dem Aufnahmeland. Denn: «Wer keine Arbeit hat, muss mit Sozialhilfe unterstützt werden.»
Asylsuchende dürfen nur in bestimmten Branchen arbeiten
Die Studie https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/595935 basiert auf Zahlen zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten zwischen 1999 und 2016. Konkret haben die Autoren vier Einschränkungen untersucht, die für Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene gelten: das Arbeitsverbot, den Inländervorrang, sektorielle und regionale Beschränkungen.
Das Arbeitsverbot gilt für Asylsuchende die ersten drei Monate nach der Ankunft, in manchen Kantonen auch darüber hinaus. Der Inländervorrang besagt, dass Firmen offene Stellen in erster Linie mit Schweizern und EU-Bürgern besetzen sollen. Die sektoriellen Beschränkungen bedeuten, dass Asylsuchende nur in bestimmten Branchen arbeiten dürfen: beispielsweise in der Gastronomie, nicht aber auf dem Bau. Die regionalen Beschränkungen haben zur Folge, dass Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene in jenem Kanton arbeiten müssen, in dem sie wohnen.
Je nach Kanton sind die Beschränkungen unterschiedlich strikt. So schränkt Glarus die Branchen, in denen Geflüchtete arbeiten können, stark ein – während es in Graubünden weniger Verbote gibt. Diese Unterschiede erlaubten es den Studienautoren, die Auswirkungen der Einschränkungen zu beziffern.
Mit bemerkenswerten Resultaten: Wenn ein Geflüchteter von einem der restriktivsten Kantone (Glarus) in einen der liberalsten Kantone (Graubünden) wechselt, verdoppeln sich seine Chancen auf Arbeit fast. Konkret steigt die Erwerbsquote von Asylsuchenden und vorläufig Aufgenommenen in den ersten fünf Jahren nach Einreise von 11 auf 19 Prozent, wie die Studie zeigt – allein dadurch, dass die striktesten Einschränkungen wegfallen. Hangartner: «Gerade weil die Erwerbsquote bei Geflüchteten tief ist, wäre es wichtig, unnötige Hindernisse aus dem Weg zu räumen.»
Die aktuellen Regelungen haben den gegenteiligen Effekt. Mehr noch: Sie führen dazu, dass Geflüchtete häufiger arbeitslos sind und Jahre später noch tiefere Löhne haben. Denn ein restriktiver Zugang zum Arbeitsmarkt gleich nach der Ankunft verschlechtert die Chance auf eine Anstellung selbst Jahre später noch. Zugleich schwächen die Einschränkungen die Verhandlungsmacht von Flüchtlingen gegenüber den Firmen. Heisst: Sie müssen froh sein, überhaupt einen Job zu finden.
«Strenge Regeln führen nicht dazu, dass Geflüchtete die Schweiz eher verlassen»
Rahman D.* (34) hat diese Erfahrung gemacht. Der Afghane hatte im Iran bereits sieben Jahre als Metallbauer gearbeitet. Nach seiner Flucht in die Schweiz fand er auch hierzulande eine Stelle in diesem Bereich – doch sein Lohn war tiefer, als er gemäss Branchenvereinbarung hätte sein sollen. «Von 2016 bis 2021 verdiente ich weniger als 50'000 Franken pro Jahr», sagt Rahman D. «Und das, obwohl für Personen wie mich, die über 25 Jahre alt sind und fünf Jahre Berufserfahrung haben, der Minimallohn bei 65'000 Franken liegt.» Zu kündigen lag für D. nicht drin.
Für Studienautor Hangartner ist die entscheidende Frage, wo der Nutzen der aktuellen Beschränkungen liegt. «Geht es darum, tief qualifizierte Ansässige vor der Konkurrenz durch Flüchtlinge zu schützen? Oder möchte man die Geflüchteten dazu bringen, die Schweiz wieder zu verlassen?»
Hangartner und seine Kollegen haben beide Szenarien untersucht. Resultat: «Wir finden keine Evidenz, dass EU-Bürger bessere Arbeitsmarktchancen haben, wenn die Kantone restriktiver gegenüber Asylsuchenden und vorläufig Aufgenommenen sind.» Und: «Die strengen Regeln führen nicht dazu, dass Geflüchtete die Schweiz eher verlassen: Zwischen strikten und liberalen Kantonen sehen wir keinen Unterschied.»
Angesichts dieser Resultate kommt Hangartner zum Schluss: «Die Einschränkungen haben für die Flüchtlinge und die Aufnahmegesellschaft hohe Kosten zur Folge – ohne messbare Vorteile.» Aus seiner Warte wäre es sinnvoll, wenn sich die restriktiven Kantone an den liberalen orientieren würden. «Das käme sowohl den Geflüchteten als auch den Steuerzahlenden zugute.»