Urs Loher (57) war gerade mal fünf Wochen im Amt, und schon musste sich der neue Chef des Bundesbetriebs Armasuisse mit Problemen bei der Beschaffung herumschlagen. Bei der Drohne Hermes des israelischen Rüstungskonzerns Elbit für die Schweizer Armee kommt es zu Lieferverzögerungen. Auch die israelische Rüstungsfirma Elta hat zu kämpfen. Sie ist Lieferantin von Radartechnologie und Technologie für die elektronische Kriegsführung.
Beide Firmen liefern aufgrund des Krieges zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas nicht mehr wie geplant im laufenden Jahr. Allein bei den bestellten sechs Stück der Hermes-Drohne geht es um ein Geschäft im Wert von einer Viertelmilliarde Franken. Weitere Auswirkungen des Konflikts auf Lieferungen aus Israel sind derzeit unklar. Klar ist nur: Der Krieg in Nahost hat die Schweizer Armee erreicht.
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Doch so gravierend die Lieferverzögerungen sind, die viel grössere Aufgabe wartet auf Loher im Inland. Es geht nicht bloss um Lieferverzögerungen einzelner Geräte, es geht um die Zukunft der Schweizer Armee. Diese muss sich dringend modernisieren und für die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts rüsten. Der Verteidigungsapparat hat grosse Lücken, etwa wenn es um Drohnen, Roboter und künstliche Intelligenz geht. Erstmals spricht der Rüstungschef über seine Vision für einen neuen Waffenplatz Schweiz.
Mehr rüstungsnahe Schweizer Lieferfirmen sollen die Lücken der Armee schliessen. Das gelingt, wenn Armasuisse zusammen mit der hiesigen Industrie eine gewisse Unabhängigkeit von kritischen Lieferungen aus dem Ausland erreicht. Nur schon deshalb, um die Wehr- und Durchhaltefähigkeit der Armee im Ernstfall zu gewährleisten. Dafür tritt Rüstungschef Loher an: «Ich bin von der Industrie gekommen, um das zu lösen.»
In den Lieferketten unverzichtbar
Vor seinem Amt als Chef der Beschaffungsbehörde war er Schweiz-Chef des französischen Rüstungslieferanten Thales und davor CEO von Rheinmetall Air Defence. Er kennt die Bedingungen für eine funktionierende private Rüstungsindustrie und wünscht sich nun in seinem öffentlichen Amt eine wirkungsvollere Armee, «die möglichst lange und möglichst autonom in der Lage ist, intakt zu bleiben». Und dazu die Industrie, die in den internationalen Lieferketten unverzichtbar ist, um die Armee zu stärken.
Das ist nicht nur Lohers Wunsch, es ist sein Auftrag. Denn bereits seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 ist klar, dass die Bedeutung der eigenen Industrie und der eigenen Armee zugenommen hat. Mit dem Ausbruch des Krieges in Nahost umso mehr. Nur ist das bis dato zu wenig geschehen. Jetzt denkt der Armasuisse-Chef die Schweizer Rüstungspolitik und -industrie von Grund auf neu.
Armeebedürfnisse auf dem Prüfstand
Die Rüstungsbehörde ist aktuell daran, zusammen mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) und der Hochschule St. Gallen zu evaluieren, was die Schlüsselelemente für die Armee und die potenziellen Chancen für die Rüstungsindustrie in der Schweiz generell sind. Mit den Ergebnissen darf man in den nächsten Monaten rechnen.
Es geht darum, herauszufinden, was die Armee benötigt, um den Betrieb und die Einsatzfähigkeit ihrer Systeme aufrechtzuerhalten. Und die Schweizer Rüstungsindustrie in den internationalen Lieferketten weltexklusiv zu positionieren. Die Schweiz soll künftig nicht mehr aus der globalen Verteidigungsindustrie wegzudenken sein, das ist die Absicht.
Dafür will der Armasuisse-Chef die gegenseitigen Abhängigkeiten in diesem Bereich erhöhen und so die Schweiz zu einem unerlässlichen Player nicht nur im Inland, sondern auch für Exportzielländer und grosse Rüstungskonzerne machen. Amerikanische Kampfjets und deutsche U-Boote sollen mit Swissness fliegen und tauchen. Offsetgeschäfte und Firmenaufträge sind ein Weg dahin – der andere sind mehr finanzielle Mittel, um die Industrie im Inland aufzubauen.
Loher denkt an Reparaturen und Verbesserungen älterer Panzer sowie an Prototypen verschiedener militärischer Geräte aus der Uni-Werkstatt. Aber auch an umfassende Informatik- und Kommunikationslösungen für die Armee. «Gerade in der Informatik haben wir hervorragende Firmen in der Schweiz, die uns entsprechend unterstützen können», sagt der Rüstungschef.
Er denkt noch grösser, an automatisierte Sensorsysteme, Roboter, Drohnen, künstliche Intelligenz und Quantentechnologie, wo die Schweiz bereits heute eine führende Rolle spiele. Das soll auch zur Armee und in die lokale Rüstungsindustrie kommen. Ein Plan für die nächsten zehn Jahre.
Deutlich mehr Gegengeschäfte gefragt
Zum Plan gehört ausserdem der deutliche Ausbau von Gegengeschäften, sogenannten Offsets: Die Schweiz bestellt Kriegsmaterial, die ausländische Lieferfirma vergibt Aufträge an die hiesige Industrie im Ausmass des Bestellwertes. So soll der Kaufpreis kompensiert werden und sollen Unternehmen profitieren.
Die Idee ist nicht neu, aber die Menge und die Abwicklung stimmen noch nicht. Der Drohnendeal mit Israel ist so ein Gegengeschäft. Viele Aufträge an Schweizer Firmen im Gegenzug für diese Lieferung fehlen noch – im Ausmass eines dreistelligen Millionenbetrags. Auch bei den Gegengeschäften für den F-35-Kampfjet fehlen noch zwei Drittel der Kompensationen. Das will Urs Loher ändern, konkrete Aufträge im Inland platzieren und bereits heute mehr Offsets für künftige Rüstungsgeschäfte einfädeln.
Die Zeit drängt, denn Zulieferer und Produktionen für den militärischen Bereich haben in den vergangenen Jahren in der Schweiz schwer gelitten: Ausfuhrbedingungen wurden schlechter, Gesetze verschärft, Exportgesuche abgelehnt. Firmen wie Ruag, Rheinmetall, Elbit und Mowag mussten sich den Kopf zerbrechen, was sie an Schweizer Wertschöpfung herausholen können, wenn die Aufträge im Inland fehlen. Die Anreize für neue Firmen im Schweizer Rüstungsumfeld sind klein geworden.
«Strategische Industriereserve»
Wie die Gegengeschäfte mit mehr Fokus auf die Schweizer Industrie hingegen funktionieren können, zeigt der jüngste Verkauf von 25 Leopard-2-Panzern an Rheinmetall. Das Geschäft war lange durch die Frage blockiert, ob es die Neutralität verletzen würde, weil es einen Beitrag zu Waffenlieferungen an die Ukraine als Kriegspartei leisten könnte.
Das Geschäft wurde politisch genehmigt, die Ruag verdient Geld damit, erhält Wartungsaufträge für die Panzer und bekommt von Rheinmetall auch noch das Know-how für künftige Kampfwertsteigerungen aktiver Panzer im eigenen Armeebestand. Der Bundesbetrieb stellt für den Rüstungschef «eine strategische Industriereserve» dar.
Ein Geschäft wie dieses ist Teil von Lohers Dreistufenplan: Erstens die benötigten Produkte identifizieren. Zweitens bereits existierende Firmen in der Schweiz mit den passenden Kompetenzen anbinden. Und drittens: Fehlendes Know-how in die Schweiz holen. Eine Art Standort- und Ansiedlungspolitik der Schweizer Rüstungsindustrie, wenn man so will.
Warum man das nicht längst schon so macht, versteht Rüstungsindustriemann Loher nicht so recht. Er spart deshalb nicht mit Kritik: «Dieses Vorgehen hätte man sich bereits vor der Beschaffung der neuen Kampfjets überlegen können. Also bevor man den Vertrag unterschrieben hat.»
Für eine Perspektive braucht es Aufträge
Was es laut Loher noch braucht, ist eine Perspektive für die Industrie. «Und wenn man eine Perspektive will, dann braucht man Aufträge.» Man sollte sich daher nicht nur an den Spezifikationen einer Ausschreibung orientieren, wie das in der Vergangenheit der Fall war. Sondern darüber hinaus die Industrie vom Beginn des Beschaffungsprozesses an einbinden. In den Worten Lohers: «Es geht nicht nur darum, ein Gericht zu kochen und die Zutatenliste abzuarbeiten, sondern sich ein ganzes Menü auszudenken.»
Dazu gehören laut Loher auch Anpassungen im Gesetz für den Export von Rüstungsmaterial aus der Schweiz. In Europa habe man bereits realisiert, dass man diesbezüglich gemeinsam handeln müsse, so der Armasuisse-Chef. Die Schweiz stehe hier völlig isoliert da und gelte nicht mehr als verlässlich. «Das müssen wir ändern.»