Ex-EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat in einem Interview zu den Verhandlungen über ein Rahmenabkommen Fehler auf beiden Seiten ausgemacht. Die Schweiz habe den Zusammenhalt der EU-Länder unterschätzt. Er selber habe seine Position nicht oft genug erklärt.
«Aus heutiger Sicht habe ich die Position der Kommission in der Schweiz ungenügend erklärt», sagte der von 2014 bis 2019 amtierende Präsident der EU-Kommission in einem am Samstag veröffentlichten Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung». Er habe sich selbst nicht oft genug in der Schweiz zu dem Thema geäussert. Der heute 66-jährige Luxemburger war als Oberhaupt der EU-Exekutive Vorgänger von Ursula von der Leyen.
Keine Alternative zum Rahmenabkommen
Dass die Gespräche zunächst gescheitert sind, liegen laut Juncker jedoch am «schweizerischen Unvermögen, die restlichen Schritte in Richtung Europa zu tun». Die Schweiz habe wenn auch zaghaft versucht, einen Spaltpilz zwischen die Mitgliedstaaten zu treiben. Das habe aber zu keinerlei Erfolg geführt. «Die Schweiz hat, ähnlich wie Grossbritannien, den Zusammenhalt der Mitgliedstaaten unterschätzt.» Es habe eine geschlossene Front der 27 Mitgliedstaaten gegeben.
Juncker sieht keinen Weg an einem Rahmenabkommen vorbei. «Ich glaube nicht, dass es sinnvolle Alternativen gibt», sagte er im Interview weiter. Verhandlungsspielraum sieht er dennoch: «Es mag sein, dass man allenfalls noch an dieser oder jener Ecke feilen kann.»
Drei strittige Punkte
Der Bundesrat hat 2018 mit der EU ein Rahmenabkommen ausgehandelt für die Übernahme von neuem Recht und zur Regelung im Umgang bei Streitigkeiten. Heute besteht das Vertragsnetz aus rund 20 zentralen bilateralen Abkommen und über 100 weiteren Verträgen. Wegen offener Streitpunkte und Widerstand im Parlament unterzeichnete die Schweizer Regierung das Abkommen bislang nicht. Diese Woche begannen in Brüssel Klärungsgespräche.
Bei den aktuellen Gesprächen geht es vor allem um drei noch offene Punkte: die flankierenden Massnahmen, die Unionsbürgerschaft und die Staatsbeihilfen. Während sich die Schweiz viel davon verspricht, handelt es sich dabei aus Brüsseler Sicht nur noch um Formalien.
(SDA)