«Historisch, was wir geschafft haben»
Parlament definiert Tatbestand der Vergewaltigung neu

Die Reform des Sexualstrafrechts kommt voran. National- und Ständerat haben sich nun darauf geeinigt, den Schockzustand von Opfern in den Vergewaltigungstatbestand einzuschliessen. Der Nationalrat ist auf die Linie des Ständerats eingeschwenkt.
Publiziert: 01.06.2023 um 09:22 Uhr
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Aktualisiert: 01.06.2023 um 14:15 Uhr
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Tamara Funiciello geht als Siegerin aus dem Kampf ums neue Sexualstrafrecht hervor.
Foto: KEYSTONE

Am Mittwoch sagte auch der Nationalrat Ja zu der «Nein heisst Nein»-Lösung bei der Modernisierung des Sexualstrafrechts. «Wir haben über vier Jahre gekämpft, jetzt ist es durch und es ist historisch, was wir geschafft haben», freut sich Tamara Funiciello (33). Es war der längste und härteste Polit-Kampf, den die Berner SP-Nationalrätin bisher geführt hat.

Es bleibt also beim «Nein heisst Nein» im Sexualstrafrecht. Die grosse Kammer hat dabei seine ursprüngliche Haltung überarbeitet: Noch im vergangenen Winter hatte der Nationalrat auf einer «Nur Ja heisst Ja»-Lösung beharrt. Dieses Modell propagierte Sex nur mit Zustimmung aller Beteiligten. Einen Antrag der GLP, dabei zu bleiben, lehnte der Nationalrat ab.

Freezing ausdrücklich erwähnt

«Es war klar, dass wir dafür keine Mehrheit finden», sagt Funiciello. Aber man habe mit dem «Nein heisst Nein» eine gute Kompromisslösung gefunden. Denn: Rechtlich bestünden kaum Unterschiede.

Im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt wird dabei auch das sogenannte Freezing ausdrücklich erwähnt. Mit 105 zu 74 Stimmen und 11 Enthaltungen bereinigte der Nationalrat am Donnerstag diesen zentralen Punkt der Vorlage. Der Ständerat hatte dem Kompromiss im März zugestimmt.

Damit anerkennen die Räte, dass Opfer von sexualisierter Gewalt zuweilen ihre Ablehnung nicht zum Ausdruck bringen können, wenn sie sich in einer Art Schockzustand (Freezing) befinden. Gerichte sollen dies künftig ebenfalls als Ablehnung deuten können.

Der Nationalrat übernahm mit dem Kompromiss auch die Ergänzung des Ständerats, wonach Täterinnen und Täter zu Präventions- und Lernprogrammen verpflichtet werden. Während der Ständerat eine Kann-Formulierung wählte, will der Nationalrat eine grundsätzliche Pflicht und Ausnahmen nur in Einzelfällen zulassen.

Sexualdelikte an unter Zwölfjährigen verjähren nicht

Auch beim Strafmass schloss sich der Rat dem Ständerat an: Für Vergewaltigung mit Nötigung wird eine einjährige Mindeststrafe festgeschrieben. Im Nationalrat hätten SVP, Mitte und GLP mindestens zwei Jahre gewollt. Beide Räte schrieben nun auch fest, dass Sexualdelikte an unter zwölfjährigen Kindern nicht verjähren.

Eine gewichtige Differenz haben die Räte aber noch: Der Nationalrat will auch das Anbahnen von sexuellen Kontakten mit Kindern unter Strafe stellen, das sogenannte Cybergrooming. Der Ständerat lehnt dies ab. Die Vorlage geht damit abermals zurück an den Ständerat.

Die Mehrheit des Parlaments verspricht sich von der Revision des Sexualstrafrechts, dass mehr Fälle von sexueller Gewalt als Vergewaltigung qualifiziert werden. Nichts ändern wird die Reform daran, dass die Beweislage oft schwierig ist. Befürworterinnen der Reform versprechen sich jedoch Veränderungen in der Befragung von Opfern – und hoffen auf eine gesellschaftliche Signalwirkung. (oco)

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