Gleich drei Initiativen wollen die Schweizer Landwirtschaft umkrempeln: Nächstes Jahr stimmt die Bevölkerung über die Pestizid- und die Trinkwasser-Initiative ab; später steht die Initiative zur Massentierhaltung an. Die plötzliche Häufung solcher Vorlagen wirft die Frage auf: Wie steht es um die (Un-)Zufriedenheit der Bevölkerung mit der heutigen Landwirtschaft?
Das wollten die vier Umweltverbände WWF, Greenpeace, Pro Natura und Birdlife wissen. Sie gaben dazu eine Umfrage* bei der Forschungsstelle Sotomo in Auftrag. Die Ergebnisse, die SonntagsBlick vorliegen, sind – aus Sicht der Auftraggeber – allerdings nicht ganz eindeutig.
Mehr grün gewünscht
Klar ist: Die Bevölkerung findet, die Schweizer Landwirtschaft müsse ökologischer werden – diese Meinung zieht sich quer durch das politische Spektrum. Von den FDP-Sympathisanten sind 73 Prozent dieser Ansicht, bei Grünen-Anhängern gar 90 Prozent. Auch SVP-Wähler sind mit einer relativen Mehrheit von 48 Prozent der Ansicht, eine grünere Landwirtschaft sei nötig.
Zu konkreten Massnahmen befragt, zeigt sich im Weiteren: 79 Prozent der Befragten finden es wichtig, dass umweltschädigende Praktiken – wie der Einsatz von Pestiziden – in der Landwirtschaft reduziert werden. Dieses deutliche Resultat ist wohl auch die Folge eines Berichts von 2019, der hohe Wellen schlug. Darin kamen die Forscher zum Schluss, die «intensive Landwirtschaft» in der Schweiz sei die «Hauptquelle» für die Belastung des Grundwassers durch Nitrate und Pestizide.
Bauern geniessen guten Ruf
Die Umfrageergebnisse könnten nun zum Schluss verleiten, die Bevölkerung stehe den Bauern kritisch gegenüber, zumal Pestizide meist von Landwirten ausgebracht werden. Dies ist aber nicht der Fall. So ist lediglich rund ein Drittel der Befragten der Meinung, die Landwirtschaft habe negative Auswirkungen auf die Trinkwasserqualität. Ein zweites Drittel findet gar, die Landwirtschaft habe positive Auswirkungen auf die Wasserqualität, während ein Drittel weder negative noch positive Effekte ausmacht.
Dieses Ergebnis lässt aufhorchen – stimmt es doch mit der Realität nur bedingt überein. Wie erklärt sich das? Studienautor Michael Hermann (49) interpretiert das Resultat so, dass der Zusammenhang zwischen Pestiziden und der Landwirtschaft «bei vielen noch nicht angekommen» sei. Und dies, obwohl gerade das Thema Pestizide die Leute sehr beschäftige.
Für ihn steht deshalb fest: «Wenn die Befürworter der Pestizid- und Trinkwasser-Initiative eine Chance haben wollen im Abstimmungskampf, müssen sie hier noch viel Aufklärungsarbeit leisten.»
Erfolgreiche Werbekampagnen
WWF-Sprecher Jonas Schmid sieht den Widerspruch zwischen Wahrnehmung und Realität auch darin begründet, dass die «Agrarlobby» seit Jahren ein verfälschtes Bild der Schweizer Landwirtschaft zeichne. Denn: «Statt intakter Natur und glücklichen Tiere sehen wir eine abnehmende Naturvielfalt, wiederkehrende Skandale in der Tierhaltung sowie Gewässer und Böden, die durch Pestizide belastet sind.»
Allerdings habe das Bild der heilen Landwirtschaftswelt mittlerweile Risse bekommen, meint Schmid. Was der WWF-Sprecher auch daran fest macht, dass die Pestizid- und Trinkwasser-Initiative aus der Zivilgesellschaft kämen und nicht etwa von den Umweltverbänden initiiert worden seien.
Ob dieses latente Unbehagen für einen Sieg an der Urne ausreicht, ist allerdings offen. Der Gegenwind dürfte stark sein. Von der Agrochemieindustrie, von Teilen der Wirtschaft – und nicht zuletzt von den Bauern selbst.
*Die Umfrage wurde zwischen dem 21. Oktober und 4. November 2020 online durchgeführt. Anzahl Teilnehmende: 1309.