Post will «Hungerlohn» heraufzusetzen
Werbeverträger wollen Taten sehen

Jetzt soll der gelbe Staatsbetrieb liefern. Statt schöner Worte brauche es nun die tatsächliche Bereitschaft, den «Hungerlohn» für Werbeverträger heraufzusetzen. In der Deutschschweiz formiert sich derweil wie in der Romandie Widerstand gegen die Post.
Publiziert: 15.06.2021 um 18:39 Uhr
|
Aktualisiert: 15.06.2021 um 18:42 Uhr
1/10
Mitarbeitende der Post-Tochter Epsilon und die Gewerkschaften protestierten gegen «Hungerlöhne».
Foto: Keystone
Pascal Tischhauser

Die Post lädt die Arbeitnehmervertreter ihrer Tochterfirmen Epsilon und DMC ein, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Wie Johannes Cramer (39) verspricht, sollen die Gehälter rauf. Ein konkretes Lohnangebot machte der oberste Logistikchef beim gelben Riesenaber aber nicht.

Die 17.44 Franken Stundenlohn für die Verteiler von unadressierter Werbung bei der Westschweizer Epsilon und der Deutschschweizer DMC sollen möglichst rasch durch Stundenansätze ersetzt werden, von denen die Leute leben können – sagt das Konzernleitungsmitglied des Staatsbetriebs.

Auch Deutschschweiz wehrt sich

Die Post reagiert auf den Protest von Gewerkschaften und Epsilon-Mitarbeitern. Die Romands sind auf die Strasse, weil durch die Angleichung des Entlöhungssystems an die DMC zahlreiche Mitarbeiter noch weniger verdienen als zuvor.

Inzwischen ist das Parlament wegen der tiefen Löhne aktiv, und die Postministerin Simonetta Sommaruga (61) soll sich für die «Hungerlöhne», wie die Gewerkschaften sagen, interessieren.

Nach dem Postauto-Bschiss, dem grössten Subventionsskandal der Schweizer Geschichte, und der von der Konzernleitung eingeräumten Lohndrückerei bei den Postauto-Chauffeuren ist es schon wieder der gelbe Riese, der Negativschlagzeilen macht. Kein anderer Staatsbetrieb hat einen derart schlechten Ruf als Arbeitgeber.

75 Millionen jährlich zur Imagepflege

Offenbar nützen da auch die schönen Ausgaben nichts, mit denen der Staatsbetrieb Imagepflege betreibt: 1,1 Prozent der Konzernausgaben fliessen hierhin, wie die Post auf Anfrage mitteilt. Das waren bei einem Gesamtaufwand von 6,78 Milliarden Franken im Jahr 2020 rund 75 Millionen Franken.

Fairerweise muss gesagt werden, dass die Post neben den reinen Werbeausgaben auch ihre Sponsoringmassnahmen und damit ihr soziales Engagement für «2 x Weihnachten» und die Sanierung des Schweizer Wanderwegnetzes miteinrechnet.

Nur: Mit 17.44 Franken Stundenlohn, der in der Deutschschweizer DMC bereits gilt, liegt ein Familienausflug ins Wandergebiet wohl nur selten drin. Und es sind vielleicht gerade Werbeverträger, die auf Aktionen wie «2 x Weihnachten» angewiesen sind.

Kein Wunder, formiert sich jetzt auch in der Deutschschweiz Protest gegen die Niedrigstlöhne beim Staatskonzern.

Mitarbeitende wollen Gewissheit

Während die Gewerkschaft Syndicom das jüngste Angebot des Staatsbetriebs als Schritt in die richtige Richtung sieht und den Abschluss eines Gesamtarbeitsvertrags (GAV) begrüsst, sind die betroffenen DMC-Angestellten skeptisch.

Etwas neidisch schauen die Werbeverträger auf Genf: Weil der Kanton einen Mindestlohn kennt, verdienen die dortigen Epsilon-Werbeverteiler 23 Franken. Und bald geht der Blick auch nach Basel-Stadt. Der Kanton hat am Sonntag einen Mindestlohn von 21 Franken beschlossen – und einen höheren Mindestansatz von 23 Franken nur knapp abgelehnt.

Freiheiten positiv, aber ...

Blick wollte von den Werbeverträgern selbst wissen, was sie vom Angebot der Post halten. Drei DMC-Mitarbeitende waren bereit, Auskunft zu geben. Eine davon steht mit Namen hin, da sie gerade pensioniert wurde und nur noch aushilfsweise Werbung verträgt. Die anderen beiden befürchten Nachteile, wenn sie öffentlich über ihre Arbeitgeberin berichten – obwohl sie ja für ein Unternehmen arbeiten, das letztlich den Schweizerinnen und Schweizern gehört.

Eine langjährige Mitarbeiterin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, betont: «Ich arbeite gerne bei DMC, weil ich mir meine Zeit frei einteilen kann.» Sie könne dann Werbung austragen, wenn die Kinder in der Schule sind. Und sie könne so auch daheim Essen kochen und brauche kein Geld für Fremdbetreuung der Kinder auszugeben.

Und grundsätzlich begrüsst sie die Bereitschaft der Post natürlich, ihren Lohn heraufzusetzen. Für sie ist aber klar, dass es einen Lohn braucht, «mit dem man auch eine Familie ernähren kann».

Weniger diplomatisch ist ein weiterer langjähriger Mitarbeiter, der von den paar Hundert Franken, die ihm DMC zahlt, nicht leben kann. Er muss aufs Sozialamt. Er würde lieber mehr für den gelben Riesen arbeiten und von diesem Lohn seinen Lebensunterhalt eigenständig bestreiten können. Darum sagt er: «Schöne Worte, aber gewonnen ist noch nichts. Wir wollen Resultate sehen – und zwar subito!»

Ähnlich klingt es bei Renate Murpf aus Emmenbrücke LU, die nur noch aushilfsweise bei DMC arbeitet, da sie in Rente ist: Für sie klingen die Worte von Logistik-Chef Cramer «schön, aber am Ende zählt dann die Höhe des Lohns» – und die Erhöhung will sie «schnell».

... es braucht ein konkretes Angebot

Es brauche jetzt ein gutes, konkretes Angebot der Post. «Nur so kann schnell abgeschlossen werden, und nur das bringt für alle Beteiligten Zufriedenheit», sagt Renate Murpf.

Doch im Gespräch zeigen sich die DMC-Angestellten sowieso unsicher, ob man bei der Post an der Arbeitnehmer-Zufriedenheit überhaupt interessiert ist. Mal so ein «Gschenkli» zu Weihnachten. Oder einfach etwas Anerkennung – Fehlanzeige beim Werbeverträger.

Weihnachten nur für die Anderen

Man begrüsst im Arbeitnehmerlager, dass die Post mit «2 x Weihnachten» aufs Jahresende hin an die Bedürftigen denkt. Noch schöner fänden es die Mitarbeitenden aber, wenn die Post bei all ihren Unternehmen übers gesamte Jahr anständige Löhne zahlte. Mit fairen Gehältern für wenige Tausend Werbeverträger bräuchte der Staatsbetrieb auch nicht so viele Millionen Franken für Eigenwerbung. Das Image der Post wäre automatisch besser.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?