Präzis, schnell – und unparteiisch: So kennt man den Politologen Claude Longchamp (63) von seinen TV-Auftritten. 25 Jahre lang analysierte er für das Schweizer Fernsehen Wahl- und Abstimmungsresultate. Sein Markenzeichen: die Fliege um den Hals.
In den insgesamt 77 Abstimmungssendungen schimmerte Longchamps politische Haltung praktisch nie durch. Auch heute, drei Jahre nach seinem Rückzug aus dem Scheinwerferlicht, hält er seine persönliche Meinung bei Sachfragen meist unter Verschluss.
Klimajugend als Treiber
Doch bei einem Thema macht Longchamp eine Ausnahme: Stimmrechtsalter 16. Es ist ein Herzensanliegen für den Mann mit der Fliege. Er twittert, nimmt an Seminaren teil und greift für Gastbeiträge in die Tasten.
Insbesondere die Klimajugend hat ihn in seiner staatspolitischen Überzeugung gestärkt, dass das Stimmrechtsalter von heute 18 auf 16 Jahre gesenkt werden sollte. «Diese jungen Menschen sind unglaublich aktiv und politisch versiert. Verbieten wir ihnen die Teilhabe, erzeugt dies Frust und Radikalisierung», sagt er.
Als junger Politologe auf der Strasse
Hinzu kommt: Es ist nicht das erste Mal, dass Longchamp aktiv wird. Bereits 1991 weibelte er als junger Politologe erfolgreich für die Herabsetzung des Stimmrechtsalters von damals 20 auf 18 Jahre. Ein Jahrzehnt zuvor hatte die Bevölkerung eine ähnliche Vorlage, die auf den damaligen Genfer SP-Nationalrat Jean Ziegler (86) zurückging, noch abgelehnt.
Die Voraussetzungen hätten sich seither «radikal» verändert, ist Longchamp überzeugt. «Wir hatten in den 1980er-Jahren praktisch keine Jugendmedien», sagt er. «Es gab nur das apolitische ‹Bravo›.» Heute seien die 16-Jährigen dank Jugendmedien und Social Media mindestens so gut informiert wie die damaligen 18-Jährigen.
Funiciello gegen Silberschmidt
Zudem sei das Parlament deutlich jünger geworden. «Früher wäre es undenkbar gewesen, dass so etablierte Jungpolitiker wie Tamara Funiciello (30) oder Andri Silberschmidt (26) gewählt worden wären», sagt er.
Genau diese beiden stehen sich nun im Parlament gegenüber. Denn in dieser Woche entscheidet der Nationalrat, ob Jugendliche künftig bereits mit 16 Jahren an die Urne dürfen – oder nicht. Die Staatspolitische Kommission lehnte das Geschäft in der Vorberatung hauchdünn ab.
Der Jüngste ist dagegen
Für die Befürworter besonders bitter: Ausgerechnet der jüngste Nationalrat, Andri Silberschmidt, stimmte gegen ein tieferes Stimm- und Wahlrechtsalter!
«Wer abstimmen und wählen kann, sollte auch selber kandidieren dürfen», findet der FDP-Nationalrat. Dies sei im hängigen Vorstoss der Grünen Sibel Arslan (40) nicht vorgesehen und «verzerre» daher das Stimm- und Wahlrecht.
Zudem sollten in Silberschmidts Augen Stimmrechtsalter und Mündigkeit einhergehen. «Mit der Herabsetzung des Stimmrechtsalters könnten 16-Jährige zwar über Initiativen und Referenden abstimmen, das Unterschreiben eines Begehrens wäre aufgrund der fehlenden Mündigkeit aber nicht möglich», kritisiert er.
Schwerer Stand im Nationalrat
Im Rat dürften es viele ähnlich sehen wie der jüngste Abgeordnete. SP, Grüne und GLP erreichen zusammen keine Mehrheit. Und bürgerliche Abweichler wie etwa FDP-Ständerat Ruedi Noser (59) sind eher selten.
Bei Noser dürfte zudem die Herkunft eine wichtige Rolle spielen: Sein Heimatkanton Glarus hat das Stimmrechtsalter bereits 2007 auf 16 Jahre gesenkt.
Marsch durch die Kantone
Politologe Longchamp rät den jungen Aktivisten denn auch, das Anliegen zuerst in den Kantonen zu pflanzen – und von unten her spriessen zu lassen. So setzte sich auch das Stimmrechtsalter 18 durch. Nach der ersten Abstimmung im Jahr 1976 setzten insgesamt 16 Kantone das Stimmrechtsalter herunter, bevor das Anliegen 1991 gesamtschweizerisch akzeptiert wurde.