Menschen protestieren gegen Polizisten nach der Bekanntgabe der Ergebnisse waehrend die Kundgebung der Gegner des Covid-19-Gesetzes, am Sonntag, 28. November 2021, auf dem Bundesplatz in Bern. Das eidgenoessische Stimmvolk hat am Sonntag ueber drei Vorlagen zu bestimmen, die Pflegeinitiative, die Justiz-Initiative und die Aenderung vom 19. Maerz 2021 des Covid-19-Gesetzes. (KEYSTONE/Anthony Anex)
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Pflege und Covid-Gesetz:Das war der Abstimmungssonntag

Politologe Claude Longchamp zum klaren Abstimmungsresultat
«So gespalten ist die Schweiz nicht»

Politologe Claude Longchamp sagt im Interview, weshalb das Covid-Gesetz derart deutlich angenommen wurde und ob wir uns auf weitere Abstimmungen über das Gesetz einstellen müssen.
Publiziert: 28.11.2021 um 22:45 Uhr
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Aktualisiert: 29.11.2021 um 10:39 Uhr
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Claude Longchamp sagt, die Gewinner und Verlierer des Abstimmungssonntags seien klar.
Frank Estermann

Herr Longchamp, wer sind die Gewinner und die Verlierer des Abstimmungssonntags?
Claude Longchamp: Man kann sagen, Mitte-links hat gewonnen. Grüne, SP, Grünliberale und die Junge Mitte waren bei allen drei Vorlagen in der Mehrheit. Die SVP hingegen hat verloren. Sie wurde zwei Mal überstimmt, wobei sie das besonders beim Covid-Gesetz schmerzen dürfte.

Die Schweiz sagt mit 62 Prozent noch deutlicher Ja zum Covid-Gesetz als bei der ersten Abstimmung im Juni. Ist das Land gar nicht so gespalten, wie immer wieder behauptet wird?
Ich glaube, das war vor allem eine rhetorische Formel der Gegner, die davon ablenken wollten, dass sie ein Teil des Problems sind. So gespalten ist die Schweiz nicht. Aber es gibt unterschiedliche Ergebnisse: In der Innerschweiz hat die Opposition im Vergleich zum Juni abgenommen. In der Westschweiz ist sie hingegen etwas stärker geworden. Aber alles in allem muss man sagen: Der Konsens überwiegt.

Mit Ausnahme von Appenzell Innerrhoden und Schwyz sagten alle Kantone Ja zum Covid-Gesetz. Wieso dieses deutliche Resultat?
Zum einen diskutieren wir nun schon seit 20 Monaten über die Covid-Frage. Eigentlich alle hatten ihre Meinung schon vor dem Abstimmungskampf gemacht. Und zum anderen war der Impfstatus entscheidend: 84 Prozent der Geimpften wollten laut der Umfrage der SRG Ja sagen. Und wir schätzen, dass etwa 75 Prozent der Stimmberechtigten geimpft sind. Das war also eine solide Basis.

Ist die Debatte damit beendet?
Nein, das Covid-Gesetz wird im Parlament schon in den nächsten Tagen wieder behandelt werden. Es wird Anträge der SVP geben, die Einführung der 2G-Regel zu verhindern. Und es wird Anträge der Grünen geben, die Massnahmen zur Unterstützung von Unterschriftensammlungen zu verlängern. Die Debatte geht also weiter. Aber sie wird geführt werden von einem Bundesrat und von einem Innenminister, die an diesem Wochenende gestärkt worden sind.

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Also müssen wir uns auch auf weitere Abstimmungen über das Covid-Gesetz einstellen?
Im Moment ist es recht einfach, Unterschriften zum Covid-Gesetz zu sammeln. Wenn jene Gruppierungen, die diesmal das Referendum ergriffen haben, es wieder tun, gehe ich davon aus, dass sie erneut genügend Unterschriften sammeln – und bei einer Abstimmung erneut scheitern.

Mit der Pflege-Initiative hat das Volk erstmals eine gewerkschaftlich-linke Initiative angenommen. Hat die Pandemie den Ausschlag für das Ja gegeben?
Im Normalfall hätten die Initianten argumentiert, dass sie auf die Dauer mehr Leute in der Pflege brauchen. Das Parlament wiederum hätte gesagt, man löse das nicht, indem man die Verfassung und das Gesetz ändere, sondern in dem man es den Sozialpartnern überlasse, vernünftige Lösungen zu finden. Im Normalfall hätte das dazu geführt, dass eine anfängliche Mehrheit in den Umfragen wohl in ein Nein gekippt wäre ...

... aber wir leben nicht in normalen Zeiten.
Genau, diesmal war es anders. Das Nein-Lager hat zwar ein bisschen aufgeholt im Abstimmungskampf, aber die Wende, die man sonst beobachtet, fand nicht statt. Ich glaube, das war tatsächlich wegen Corona. Es war fast nicht möglich, eine Nein-Kampagne zu führen. Selbst die Krankenkassen, die Kantone oder die FDP – die alle dagegen waren – sind nicht sehr prominent aufgetreten im Abstimmungskampf.

Die Pflegenden setzen grosse Hoffnungen in diese Initiative. Werden Sie in den nächsten Jahren enttäuscht werden?
Das Parlament ging beim Gegenvorschlag sehr weit und hat ungefähr 60 Prozent der Initiative bereits erfüllt. Dieser Teil steht eigentlich gar nicht zur Debatte, den kann man relativ schnell umsetzen. Was im Parlament allerdings zu Diskussionen führen wird, sind die Arbeitsbedingungen, die die Initianten verbessern wollen. Ich kann mir vorstellen, dass die Bedingungen verbessert werden, so dass die Hauptforderung der Initianten – bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie – schlussendlich realisiert werden kann.

Die Justiz-Inititive wurde mit 68,1 Prozent klar abgelehnt. Hat die Bevölkerung hier schlicht kein Problem gesehen?
Das jüngst erschienene Sorgenbarometer der Credit Suisse zeigt, dass rund 65 Prozent der Bevölkerung Vertrauen haben ins Bundesgericht. Einen sichtbaren Skandal in den letzten Jahren gab es auch nicht. Und die Initianten führten eine Kampagne, die mich manchmal mehr an ein Seminar an der Uni als an einen Abstimmungskampf erinnert hat.

Die Stimmbeteiligung war an diesem Sonntag aussergewöhnlich hoch. Hat das Covid-Gesetz derart stark mobilisiert?
Jede Vorlage trägt etwas zur Stimmbeteiligung bei. Wir schätzen, dass pro Vorlage drei bis vier Prozent zusätzlich an die Urne gehen. Am wenigsten gingen wegen der Justiz-Initiative an die Urne, dann folgte die Pflege-Initiative, und sicher am meisten mobilisiert hat das Covid-Gesetz. Das Covid-Gesetz hat auch am stärksten polarisiert – und beide Seiten mobilisiert.


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