Der Bundesrat hat am Freitag entschieden, Menschen mit Behinderung besser in die Gesellschaft und die Arbeitswelt einzubinden. Denn da liegt noch vieles im Argen, beispielsweise bei den politischen Rechten.
Eine Volksinitiative im Kanton Solothurn will das ändern. Derzeit läuft dort eine Unterschriftensammlung, damit auch Menschen, die unter Vormundschaft stehen, wählen und abstimmen können. In Solothurn geht es um 206 Menschen, bei 182'218 Stimmberechtigten. Die politischen Auswirkungen sind also klein – es geht um die Symbolwirkung.
«Es geht darum, ein Zeichen zu setzen und auf die immer noch starke Benachteiligung von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft aufmerksam zu machen», sagt Initiantin und GLP-Kantonsrätin Simone Rusterholz (51). Und Mitinitiant Lukas Paul Spichiger (20) sagt: «Viele Menschen sind sich nicht bewusst, dass immer noch viele Menschen von der politischen Partizipation ausgeschlossen sind.»
Einfache Abstimmungsunterlagen
Es gibt aber auch indirekte Hürden, etwa wenn die sprachlichen oder physischen Barrieren eine Abstimmungsteilnahme verunmöglichen. Ziel der Solothurner Initiative ist daher auch, Wahl- und Abstimmungsunterlagen so zu gestalten, dass sie für alle zugänglich sind und auch von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung oder Seh- und Hörbehinderten verstanden werden. Ein Beispiel wäre die Übersetzung von Wahl- und Abstimmungsunterlagen in Gebärdensprache oder Braille-Schrift.
Insgesamt müssen die Initianten bis im Juni nächsten Jahres 3000 Unterschriften sammeln – man hofft allerdings, sie bereits im Dezember beisammenzuhaben. «Wir haben bereits über 1000 Unterschriften gesammelt, und die Reaktionen der Bevölkerung fallen durchwegs positiv aus», so Spichiger.
Auch andere Bevölkerungsgruppen sollen profitieren
Eine ähnliche Initiative wurde in Genf bereits im Jahr 2020 angenommen. Auch in allen unseren Nachbarstaaten dürfen Menschen, die unter Beistand stehen, wählen und abstimmen. Laut den Initianten gibt es in den Kantonen Wallis, Waadt, Bern, Thurgau, Basel-Stadt und Neuenburg ebenfalls solche Bestrebungen.
Durch die einfache und klare Formulierung von politischen Broschüren und Abstimmungsunterlagen hofft man auch bei anderen Bevölkerungsgruppen auf eine höhere Wahl- und Abstimmungsbeteiligung. «Ich erhoffe mir, dass von der Initiative auch weitere Menschen, beispielsweise solche mit einer Leseschwäche, profitieren werden», sagt Rusterholz.
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Prädikat «mangelhaft»
Die Initiative kommt nicht aus dem luftleeren Raum: Die 2014 von der Schweiz unterzeichnete UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) verlangt, dass Menschen mit Behinderung ungehindert wählen und abstimmen können. Doch bei der Umsetzung hapert es – das ergab eine Überprüfung der Organisation Inclusion Handicap vor rund einem Jahr.
Der Dachverband bemängelt in seinem Bericht das Fehlen einer klaren Strategie für die Umsetzung der BRK. Das beginnt mit einem immer noch sehr schwachen Antidiskriminierungsgesetz. Dieses verbietet zwar die Diskriminierung per se, allerdings erwächst daraus keine Pflicht zur Beseitigung der Benachteiligung. Sprich, Diskriminierung ist zwar verboten – eine Pflicht, Benachteiligungen zu beheben, gibt es aber nicht.