«Letztes Entrecote für grüne Politiker», titelt die Westschweizer Zeitung «Le Temps». Und tatsächlich: Am vergangenen Samstag haben die Genfer Grünen ihre ambitionierten Mitglieder zum öffentlichen Fleischverzicht gezwungen.
Mit 53 zu 45 Stimmen bei 16 Enthaltungen hat die Delegiertenversammlung der Kantonalpartei beschlossen, dass jene, die bei den Wahlen 2023 für den Grossen Rat oder die Kantonsregierung kandidieren, in der Öffentlichkeit kein Fleisch mehr essen sollen. «Ich verpflichte mich, bei Plenarsitzungen, Arbeitssitzungen, offiziellen Essen oder anderen Veranstaltungen, die ich in meiner Eigenschaft als Kantonsrat oder Staatsrat besuchen werde, eine mindestens vegetarische Ernährung zu praktizieren», sollen die Kandidierenden in der Wahl-Charta versprechen.
Auch Alkoholverbot war Thema
Doch wie das Abstimmungsergebnis zeigt, ist die Partei gespalten. Befürworter wie Kantonsrätin Sophie Desbiolles (30) verteidigen den Passus. «Es ist nicht radikal, Vegetarier zu sein, es ist sinnvoll», sagt sie zu «Le Temps». Ausserdem betreffe dieser Fleischverzicht ja «nicht die Mehrheit der Mahlzeiten». Denn: Privat kann weiterhin jeder ins Entrecote beissen, wenn er will.
Andere aber schimpfen über die Gesinnungspolizei des «radikalen» Flügels und sehen im Ernährungsdiktat «Ausdruck einer sektiererischen Entwicklung». Was nicht von der Hand zu weisen ist: Derselbe Flügel wollte nicht nur ein Fleisch-, sondern auch ein Alkoholverbot durchsetzen – womit er allerdings scheiterte. Nicht nur, weil gesellige Apéros zum Politiker-Dasein dazugehören. Sondern auch, weil so radikale Ideen die Beziehungen zu den Bauern und insbesondere zu den Genfer Winzern untergraben, die die Partei für eine ökologischere Landwirtschaft gewinnen will.
«Kann kontraproduktiv sein»
Die Grünen-interne Diskussion wird kontrovers geführt. «Es geht um die Frage, ob Politiker auch nachleben müssen, was sie fordern», erklärt die Genfer Ständerätin Lisa Mazzone (34), die es richtig findet, dass sich die Partei der Frage stelle. «Kann man Wasser predigen und Wein trinken?»
Als Ständerätin wäre Mazzone (noch) nicht vom Verbot betroffen. «Nein, ich darf so viel Entrecote essen, wie ich will», sagt sie lachend. Sie esse zwar selten Fleisch und es gefalle ihr, einfach und möglichst naturnah zu leben. «Doch daraus sollte man keine Frage des Verbots machen.»
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Die Charta sei zudem nicht der richtige Ort, das zu klären. Vor allem nicht im Wahlkampf, wo es darum gehe, die Leute für eine umweltfreundliche und naturnahe Lebensweise zu begeistern und nicht darum, sie auszuschliessen. «Jedes Mal, wenn die Kandidaten an einem Anlass sind, wären sie gezwungen, dieses Verzichtsversprechen zu thematisieren und so ein politisches Statement abzugeben. Das kann kontraproduktiv sein», findet Mazzone.
Delegierte sollen noch mal abstimmen
Deshalb wird nun versucht, das Verbot – andere reden abschwächend von einer «Selbstverpflichtung» – zu kippen. Anne Moratti, Co-Präsidentin der Stadtgenfer Grünen, hat bereits Unterschriften gesammelt, um die Abstimmung an der nächsten Delegiertenversammlung im Juni zu wiederholen – und gemäss Blick-Informationen liegt bereits eine weniger weitgehende Formulierung auf dem Tisch.
Den Schweizer Grünen kann die Genfer Diskussion trotzdem nicht gelegen kommen, gelten sie doch immer wieder als Verbotspartei, die Benzinmotoren, Inlandsflüge, Einwegplastik und gar Wattestäbli den Garaus machen will. Parteipräsident Balthasar Glättli (50) lacht nur. «Wenn man als Grüner Fleisch isst, wird man angezündet – und wenn man es nicht tut, ists auch wieder nicht recht.» Er selbst fände es wichtiger, wie die Tiere gehalten werden und schiebt einen Werbespot für die Massentierhaltungs-Initiative hinterher, die voraussichtlich am Herbst an die Urne kommt. Und die Massentierhaltung – na, was wohl? – verbieten will.