Nach dem Grossangriff der radikalislamischen Hamas auf Israel setzt die EU ihre Entwicklungshilfe für die Palästinenser aus und stellt Hilfsgelder in Höhe von 700 Millionen Euro auf den Prüfstand. «Alle Zahlungen werden sofort ausgesetzt. Alle Projekte werden überprüft», erklärte EU-Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi am Montag. Alle neuen Ausgaben, auch noch für das laufende Jahr, würden «bis auf Weiteres» zurückgestellt.
Und wie reagiert die Schweiz? Sie wartet erstmal zu.
Auch die Schweiz engagiert sich bisher in der Entwicklungshilfe vor Ort. So unterstützt die Schweiz nicht nur das umstrittene Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten mit jährlich 20 Millionen, sondern auch 30 NGO.
32 Millionen vorgesehen
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit weist mehrere Projekte aus, die die Schweiz in den kommenden Jahren in den palästinensischen Gebieten unterstützen will. Diese belaufen sich auf über 32 Millionen Franken. Darunter ist etwa ein Wirtschaftsprojekt, das die Verbesserung der Bedingungen für den Export/Import von Waren in den und aus dem Gazastreifen unterstützt. Kostenpunkt: 870’000 Franken für die Jahre 2020 bis 2024.
Weiter läuft beispielsweise bis Ende Jahr noch ein Projekt, das die psychische Gesundheit der Menschen im Gazastreifen fördern will. Auf 1,8 Millionen Franken wird das seit 2019 laufende Projekt budgetiert.
«Jetzt ist nicht die Zeit für Schnellschüsse»
Es müsse nun geklärt werden, wie die Schweiz angesichts der Gewalt mit der finanziellen Unterstützung dieser Projekte weiter verfahren sollte, heisst es aus der Politik. So sagt Mitte-Chef Gerhard Pfister (61) gegenüber Blick: «Der Bund muss jetzt die Geldflüsse nach Palästina genau überprüfen. Es muss sichergestellt sein, dass mit Schweizer Steuergeldern kein Terrorismus finanziert wird.»
Auf den Einwand, dass es wohl sehr schwierig ist, sicherzustellen, dass kein Steuerfranken bei der Hamas landet, sagt Pfister: «Es liegt an den Organisationen, die Gelder erhalten, nachzuweisen, dass sie keine Verbindungen zum Terrorismus haben.»
«Wir müssen diskutieren, wie die Geldflüsse in die palästinensischen Gebiete enger kontrolliert werden können», sagt auch die Grünliberale Tiana Angelina Moser (44). Allerdings müsse die Schweiz aufpassen, warnt sie: «Man wird dem Friedensprozess nicht näher kommen, wenn die Grundversorgung der Zivilbevölkerung noch weniger gewährleistet ist.»
Bei den Hamas handle es sich «zweifellos um eine terroristische Organisation». Doch gerade angesichts der für die Bevölkerung dramatischen Situation «ist jetzt nicht die Zeit für Schnellschüsse oder Symbolpolitik». Das Parlament und der Bundesrat müssen genau prüfen, welche Massnahmen sinnvoll und richtig seien, so Moser.
Ähnlich tönt es bei SP-Aussenpolitiker Fabian Molina (33): Die Schweiz müsse aus seiner Sicht ihre Arbeit für Versöhnung und humanitäre Hilfe fortsetzen. Ohne Unterstützung der Staatengemeinschaft für die palästinensische Zivilbevölkerung steige das Risiko einer weiteren Radikalisierung zusätzlich, argumentiert er.
Cassis stellt sich Fragen
Ganz anders beurteilt es die SVP: Sie fordert «nach dem barbarischen Terror gegen Israels Bevölkerung» einen sofortigen Stopp der Schweizer Finanzhilfen an Palästinenser-Organisationen. Die Hamas müsse als Terrororganisation eingestuft und verboten werden, verlangte die Partei auf X (vormals Twitter).
Sämtliche Hamas-Anhänger und -Sympathisanten in der Schweiz müssten vom Nachrichtendienst des Bundes überwacht werden, schrieb die SVP am Montag weiter.
In der kommenden Woche wird sich die ausserparlamentarische Kommission der Diskussion annehmen. In ihrer nächsten Sitzung soll das Thema auch mit Aussenminister Ignazio Cassis (62) diskutiert werden.
Es gebe eine gute und klare Beweislage, dass die Mittel bisher korrekt eingesetzt würden, gab sich Cassis jedoch schon am Montag vor den Medien sicher. So hält der Bundesrat auch an den Zahlungen für das Uno-Palästinenserhilfswerk vorerst fest. Die Arbeit des Hilfswerks sei derzeit alternativlos, sagte Cassis.