Politik diskutiert über Strafminderung für reuige Kriminelle
Soll die Schweiz mit Kronzeugen auf Mafioso-Jagd?

Bundesanwalt Stefan Blättler will der Mafia mit der Kronzeugenregelung das Handwerk legen. Das Parlament nimmt die Forderung auf. Nicht nur die Jagd nach Mafiosi könnte damit erleichtert werden.
Publiziert: 16.10.2023 um 21:00 Uhr
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Mafia-Treffen im Hinterzimmer einer Thurgauer Pizzeria. 2014 nahm die Polizei in einer konzertierten Aktion in mehreren Kantonen 15 mutmassliche Mafiosi der N'drangheta fest.
Foto: Keystone
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Lea HartmannRedaktorin Politik

Wer auspackt, muss weniger lang hinter Gitter: In Italien ist die Kronzeugenregelung ein wichtiges Mittel im Kampf gegen die Mafia. In der Schweiz hingegen gibt es diese Möglichkeit nicht.

Noch nicht? Denn im Parlament steht die Einführung nun – erneut – zur Debatte. Die Rechtskommission des Ständerats hat vergangene Woche einen Vorstoss verabschiedet, der vom Bund fordert, die Einführung der Kronzeugen-regelung zu prüfen.

Die Forderung ist nicht neu. Zuletzt hat sie der damalige SP-Ständerat Claude Janiak (74) vor sieben Jahren eingebracht. Doch das Parlament wollte bisher nichts von einer Strafmilderung oder gar einem Straferlass für Kriminelle wissen, die bereit sind, gegen ihre Komplizen auszusagen.

Bundesanwaltschaft lobbyiert

Jetzt nimmt man noch einmal einen Anlauf. Den Anstoss dazu gegeben hat – wie schon das letzte Mal – die Bundesanwaltschaft. Bundesanwalt Stefan Blättler (64), der höchste Ermittler im Land, forderte vergangenen Juni in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» eine Gesetzesänderung. «Kronzeugen würden uns helfen bei der Bekämpfung der Mafia», sagte Blättler, der seit 2022 im Amt ist. Zwar räumt er ein, dass es unschön sei, wenn Mitglieder krimineller Organisationen mit einer Strafmilderung davonkommen. «Aber wir haben die Wahl: In Schönheit sterben und nichts zu tun. Oder Konzessionen machen, die das Rechtsempfinden tangieren.»

Auch die Investigativjournalistin Maria Roselli (61) vom Tessiner Fernsehen RSI, die viel zur Mafia recherchiert hat, fände es richtig und wichtig, dass die Schweiz die Möglichkeit von Kronzeugen schafft. «Die Regelung ist fundamental im Kampf gegen die organisierte Kriminalität», sagt sie. Denn sie gebe den Strafverfolgungsbehörden einen einmaligen Einblick in kriminelle Organisationen.

«V-Männer einzuschleusen ist oft zu gefährlich»

«Pentiti» – Reuige – heissen die Kronzeugen in Italien. Wichtig, dass sie auspacken, sei nicht nur die Strafmilderung, sondern dass sie von den Strafverfolgungsbehörden Schutz erhalten. «Sie erhalten teilweise eine neue Identität und werden auch nach dem Prozess geschützt. Das hat in den vergangenen Jahren immer wieder ermöglicht, dass man Prozesse gegen führende Mitglieder von Clans führen kann», sagt Roselli.

Es sind also zwei Punkte, die die Kronzeugenregelung aus Rosellis Sicht so wertvoll macht: Einerseits kann durch den garantierten Schutz die Omertà, das Schweigen, gebrochen werden. Andererseits erfahren die Behörden so, wie eine Organisation im Innern funktioniert. Denn: «V-Männer einzuschleusen ist bei solchen Organisationen oftmals zu gefährlich.»

Auch Opfer von Menschenhandel könnten profitieren

Doch es gehe nicht nur um die Mafia, betont Roselli. «Die Kronzeugenregelung wäre auch ein wichtiges Mittel im Kampf gegen Menschenhandel», sagt sie. Frauen, die Opfer von Zwangsprostitution würden, würde so ermöglicht, gegen ihre Peiniger auszusagen, weil sie geschützt wären.

Der Ständerat wird nun über den Vorstoss seiner Rechtskommission abstimmen. Nimmt er die Forderung an, muss der Bund in einem Bericht die Vor- und Nachteile der Kronzeugen-Einführung aufzeigen. Dann soll das Parlament über das weitere Vorgehen entscheiden.

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