«Mit Long Covid ist ein normaler Alltag fast unmöglich»
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Pneumologe Thomas Geiser:«Mit Long Covid ist ein normaler Alltag fast unmöglich»

Pneumologe Thomas Geiser (58) über Langzeitfolgen und Heilungschancen
«Mit Long Covid ist ein normaler Alltag fast unmöglich»

Eine Corona-Erkrankung kann noch monatelang Nachwirkungen haben, sagt Lungenexperte Thomas Geiser (58). Zum Glück würden sich die meisten Patienten von Long Covid erholen – doch es brauche viel Geduld.
Publiziert: 19.07.2021 um 09:19 Uhr
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Thomas Geiser ist Pneumologe am Berner Inselspital und behandelt Long-Covid-Fälle.
Foto: Nathalie Taiana
Interview: Sermîn Faki

Thomas Geiser (58) leitet die grösste Lungenklinik der Schweiz am Inselspital Bern. Kaum jemand kennt die Behandlung von Corona-Patienten besser als er. Blick trifft den Chefarzt in seinem Sprechzimmer am Inselspital.

Die Uniklinik für Pneumologie der Inselgruppe forscht seit einem Jahr an Long Covid und behandelt Patienten. Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis?
Thomas Geiser: Dass es Long Covid als Krankheit wirklich gibt. Wir sehen eindrückliche Verläufe von Patientinnen und Patienten, die die Akutphase der Erkrankung überstanden haben und trotzdem noch monatelang Symptome entwickeln.

Was sind die häufigsten Symptome von Long Covid?
Das sind Atemnot bei Anstrengungen, Husten, Müdigkeit, Muskel- und Gelenkschmerzen und einen gestörten Schlaf. Für viele ist es anfangs sehr schwierig bis unmöglich, einen normalen Lebens- und Berufsalltag zu führen. Wenn man eine Pause braucht, nachdem man eine Treppe hinaufgestiegen ist, wird es schwierig, ganz normal zur Arbeit zu gehen. Das belastet enorm.

Wie viel Prozent der Infizierten an unter Long Covid?
Das genau zu sagen, ist noch sehr schwierig. Schaut man sich die Forschung an, sind es um die 15 bis 25 Prozent.

Gibt es Risikofaktoren, die Long Covid begünstigen?
Abschliessend beantworten kann man das noch nicht. Das Alter spielt keine wesentliche Rolle – wir sehen sowohl junge als auch ältere Patienten mit Long Covid. Unsere Daten weisen darauf hin, dass wer eine schwere akute Erkrankung durchmacht und im Spital behandelt wurde, auch ein höheres Risiko hat.

Thomas Geiser

Seit fast zwölf Jahren leitet Thomas Geiser (58) die Universitätsklinik für Pneumologie (Lungenheilkunde) am Inselspital. Er ist zudem Professor für Pneumologie an der Universität Bern, wo er auch sein Studium absolvierte. Seit Anfang 2021 ist er zudem Direktor für Lehre und Forschung der Insel-Gruppe.

Seit fast zwölf Jahren leitet Thomas Geiser (58) die Universitätsklinik für Pneumologie (Lungenheilkunde) am Inselspital. Er ist zudem Professor für Pneumologie an der Universität Bern, wo er auch sein Studium absolvierte. Seit Anfang 2021 ist er zudem Direktor für Lehre und Forschung der Insel-Gruppe.

Wie behandeln Sie Long Covid?
Das kommt sehr auf die Symptome an. Bei Atemnot empfehlen wir Inhalation mit entzündungshemmenden Medikamenten. Wer unter Müdigkeit und Erschöpfung leidet, sollte unbedingt aktiv bleiben, sich bewegen, an die frische Luft gehen. In Long-Covid-Sprechstunden und Reha-Angeboten, die es mittlerweile in der ganzen Schweiz gibt, werden die Patienten gezielt unterstützt.

Wie stehen die Heilungschancen?
Da kann ich ein wenig Hoffnung machen: Die meisten Long-Covid-Patienten erholen sich wieder, einige sogar bis zur kompletten Beschwerdefreiheit. Unsere eigenen Daten deuten in diese Richtung. Eine zum Glück eher kleine Zahl muss mit bleibenden Schäden rechnen. Aber es kann lange dauern und braucht Geduld.

Man hört von Long-Covid-Patienten, dass die Impfung einen therapeutischen Erfolg hat und die Beschwerden lindert. Was ist da dran?
Ich bin da sehr vorsichtig. Es handelt sich um Einzelfälle, grosse Studien dazu gibt es meines Wissens nicht. Stand heute muss man davon ausgehen, dass die Impfung nicht hilft. Dennoch sollten sich auch Long-Covid-Patienten gemäss den Empfehlungen impfen lassen.

18 Monate nach den ersten Corona-Fällen in der Schweiz beschäftigt uns das Virus immer noch.
Ja, und wir wissen immer noch sehr, sehr wenig darüber, wie die Krankheit funktioniert und wie man sie effektiv behandeln kann. Wir haben noch immer kein Medikament, das wirklich hilft. Wir brauchen noch mehr Forschung und Forschungsgelder, um weiterzukommen.

Was glauben Sie: Wird das Virus wieder verschwinden?
Nein. Wir werden lernen müssen, mit dem Virus zu leben. Das heisst vor allem, uns dagegen impfen zu lassen. Zum Glück haben wir gute Impfstoffe, die sich bei Bedarf relativ einfach anpassen lassen – an Mutationen und andere Viren. Ich bin sicher, dass Corona nicht das letzte Virus sein wird, das uns zu schaffen macht. Es werden neue kommen.

The Spirit of Bern

Thomas Geiser wird am 30. August an der Jahreskonferenz der Stiftung The Spirit of Bern als Referent auftreten. Die nicht gewinnorientierte Stiftung hat das Ziel, den Dialog zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zu ermöglichen und zu fördern. Im Fokus steht die Diskussion von möglichen Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen. In den letzten Jahren waren etwa der Klimawandel und die Digitalisierung Thema, dieses Jahr ist es Corona. Hochkarätige Referenten werden die medizinischen Aspekte, aber auch soziale Folgen der Pandemie beleuchten. Programm und Tickets unter www.spiritofbern.ch

Thomas Geiser wird am 30. August an der Jahreskonferenz der Stiftung The Spirit of Bern als Referent auftreten. Die nicht gewinnorientierte Stiftung hat das Ziel, den Dialog zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zu ermöglichen und zu fördern. Im Fokus steht die Diskussion von möglichen Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen. In den letzten Jahren waren etwa der Klimawandel und die Digitalisierung Thema, dieses Jahr ist es Corona. Hochkarätige Referenten werden die medizinischen Aspekte, aber auch soziale Folgen der Pandemie beleuchten. Programm und Tickets unter www.spiritofbern.ch

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