Ausgerechnet im konservativen Nidwalden gelang der Coup: Die Grünliberalen holten im März einen Sitz in der Kantonsregierung. Den zweiten schweizweit, nachdem 2020 in Basel-Stadt erstmals eine grünliberale Politikerin in den Regierungsrat gewählt worden war. Auch bei den Parlamentswahlen hatten die Nidwaldner Grünliberalen Grund zum Feiern. Sie holten auf Anhieb fünf von 60 Sitzen. Dabei hatte es die Partei zwei Jahre vor den Wahlen noch gar nicht gegeben: Die kantonale Sektion wurde erst im Juni 2021 gegründet.
In Nidwalden zeigt sich exemplarisch, was sich derzeit im ganzen Land abspielt: Die GLP gewinnt in ländlichen Zentren und in der Agglo. Dort wächst sie deutlich stärker als in Städten wie Bern, Zürich oder Winterthur ZH, wo die Partei schon einigermassen etabliert ist.
In Agglo-Zentren neu in der Regierung
So steigerten die Grünliberalen ihren Wähleranteil im Berner Wahlkreis Biel-Seeland – halb Stadt, halb Land – vergangenen Sonntag bei den kantonalen Wahlen um ganze fünf Prozentpunkte auf 10,6 Prozent. In Zürich wiederum stellen sie neu in Agglomerationszentren wie Bülach, Wädenswil und Uster Mitglieder im Stadtrat.
Wie der «Tages-Anzeiger» schreibt, haben die Grünliberalen mittlerweile gar die Grünen überholt: Gemäss einer gewichteten Analyse, welche die Bevölkerung der jeweiligen Kantone miteinbezieht, haben die Grünliberalen seit 2019 in den Kantonen um 2,9 Prozentpunkte zugelegt. Damit liegen sie vor den Grünen (plus 2,7 Prozentpunkte).
Enttäuschte SP-Wähler wechseln zur GLP
Wie erklärt sich dieser Zuwachs? Der offensichtlichste Grund ist die grüne Welle. Dazu kommt das Schwächeln der Bundesratsparteien, wovon die Grünliberalen profitieren. Dabei holt die Partei sowohl SP-Wählerinnen ab, die mit der Europapolitik ihrer Partei unzufrieden sind, wie auch FDP-Wähler, die sich eine progressivere Klimapolitik wünschen. Darauf deuten zumindest die Wählerbewegungen hin.
Ein weiterer, entscheidender Grund für die aktuellen Gewinne auf dem Land und in der Agglo: die «mentale Verstädterung» der Schweiz, wie es Politologe Lukas Golder (47) nennt. Was er damit meint, zeigt sich ebenfalls in Nidwalden. Der Kanton ist in den letzten 30 Jahren stark gewachsen, von 33’000 auf 43’000 Einwohner. Mancher Zuzüger pendelt für die Arbeit nach Zürich oder Luzern. Laut Golder sind es solche Personen, die in ländlichen Gebieten typischerweise GLP wählen: «Menschen, die auf dem Land wohnen, aber im Zentrum arbeiten, gut ausgebildet und progressiv eingestellt sind.»
Matthias Christen (37), Co-Präsident der Nidwaldner Grünliberalen, stellt zudem fest, dass viele Zuzüger eine andere Einstellung zur Politik hätten als die Alteingesessenen: «Sie wählen nicht einfach jene Partei, die man in der Familie schon immer gewählt hat.» Sondern jene, die ihnen am meisten entspreche. «Und da haben wir als junge, frische Partei, die pragmatische Lösungen vorschlägt, gute Karten.»
Keine Partei, keine Wähler
«Jung» ist die Partei in manchen ländlichen Gebieten tatsächlich. Auch das erklärt einen Teil des aktuellen Erfolgs: Wo es keine Grünliberalen gab, konnten sie auch nicht gewinnen. So gibt es in Uri erst seit dieser Woche eine grünliberale Sektion.
Hinzu kommt: Die Partei hat sich seit ihren Anfängen diversifiziert. Galt sie einst als Ingenieur-Verein, ist sie heute breiter aufgestellt. So sind die Zeiten vorbei, in denen Nationalrat Beat Flach (57, AG) während des Wahlkampfs auf dem Brugger Neumarktplatz «mutterseelenalleine» Flyer und Äpfel verteilte, wie er es formuliert. «Heute sind wir an einem Stand fünf bis zehn Leute – vom lokalen Handwerker bis zur ETH-Absolventin ist alles dabei.» Auch thematisch konnte die Partei mit gesellschaftsliberalen Positionen ihr Profil schärfen, Stichwort: Ehe für alle.
Wie einst die SVP
Politologe Golder vergleicht den derzeitigen Aufstieg der GLP mit dem rasanten Wachstum der SVP in den 90er-Jahren. Er warnt: Das Wachstum berge auch Risiken. «Der Erfolg zieht auch Personen an, die sich als Irrlichter erweisen. Oder Karrieristen.»
Politwissenschaftler Claude Longchamp (65) weist auf eine andere Schwierigkeit hin, mit der die Grünliberalen konfrontiert sind: Das Motto «Weder rechts noch links» funktioniert bei Wahlen für Exekutivämter kaum. «Die GLP verliert Wahlen mit dem Mehrheitswahlrecht, weil sie sich weder den Bürgerlichen noch einer links-grünen Allianz anschliessen will», sagt Longchamp. Das Dilemma: Schliesst sich die Partei dem einen oder anderen Block an, riskiert sie, einen Teil der eigenen Wählerschaft vor den Kopf zu stossen. Dieses Abseitsstehen ist laut Longchamp mit ein Grund, weshalb die Partei nur zwei Regierungsräte und keine einzige Ständerätin stellt.
Selbst wenn sie also in den kantonalen Parlamenten wächst: Ohne weitere Gewinne bei Regierungsrats- und Ständeratswahlen bleibt die Partei auf nationaler Ebene in der Opposition. Das dürfte kaum im Sinne der Parteileitung sein. Denn das langfristige Ziel lautet: ein Sitz im Bundesrat.