Sie sind unüberhörbar. Die Gegner des Covid-Gesetzes ziehen trychelnd durch die Gassen, treiben Spenden ein und werben auf Telegram- und Facebook-Kanälen unablässig für ein Nein am 28. November. Die Kampagne gegen das Covid-Gesetz läuft – und mit Sibylle Berg (59) hat sich jüngst sogar eine bekannte Schriftstellerin aus dem linksintellektuellen Milieu zum Nein-Lager gesellt.
Still ist es hingegen um die Befürworter. Zwar sind – ausser der SVP – alle grossen Parteien für das Gesetz. Doch einen besonderen Effort haben sie nicht geplant. Man wolle die Basis mit Newslettern und Beiträgen in den sozialen Medien mobilisieren, heisst es aus den Parteizentralen. Und die Parteipräsidenten sollen an einer gemeinsamen Medienkonferenz auftreten. Viel ist das nicht.
Parteien haben kein Geld
Die Zurückhaltung der Parteien hat verschiedene Gründe. Erstens sind ihre finanziellen Mittel begrenzt, weil die Wirtschaftsverbände nicht zahlen wollen. Zweitens glauben sie, dass sich die meisten bereits eine Meinung zum Zertifikat – das bei der Abstimmung im Fokus steht – gebildet haben. Es brauche daher weniger Aufklärungsarbeit. Und drittens gibt es für die Parteien nicht viel zu gewinnen: Niemand kann (und will) sich bei einem Ja als grosser Retter des Zertifikats inszenieren.
Dementsprechend spielen sich die Parteien den Ball zu. So sieht FDP-Sprecher Arnaud Bonvin vor allem die SP in der Pflicht, «schliesslich ist ihr Bundesrat Alain Berset für das Dossier verantwortlich».
Bei der SP hält man das für eine billige Ausrede. «Es ist schade, wenn sich die FDP aus der Verantwortung stiehlt», sagt SP-Fraktionschef Roger Nordmann (48). Ein Nein zum Covid-Gesetz wäre in seinen Augen tragisch. «Geimpfte Schweizerinnen und Schweizer könnten im Ausland nicht mehr beweisen, dass sie geimpft sind. Wir wären in unserem Land eingesperrt.» Die SP wolle sich im Abstimmungskampf aktiv einbringen. Wie, ist allerdings noch offen.
Springt die Operation Libero ein?
Die Unlust der Parteien bleibt den Akteuren ausserhalb der klassischen Politik nicht verborgen. Die Operation Libero etwa will unter der neuen Leitung von Sanija Ameti (28) in diesen Tagen entscheiden, ob sie angesichts der schleppenden Kampagne selbst im Abstimmungskampf aktiv wird.
Die Tourismusbranche ist regelrecht alarmiert. Andreas Züllig (63), Präsident von Hotelleriesuisse, sagt: «Die Thematik wird sträflich unterschätzt. Auch wenn bis zur Abstimmung rund 60 bis 65 Prozent der Stimmberechtigten geimpft sein werden, dürften diese nicht alle geschlossen an die Urne marschieren.»
Züllig will sich daher nächste Woche an der Vorstandssitzung des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse für eine «konzentrierte Kampagne» der Wirtschaft starkmachen. «Denn ohne Zertifikat gibt es nur noch die Varianten offen oder geschlossen.»
Economiesuisse will nicht zahlen
Bislang engagiert sich Economiesuisse nur mit Worten für das Covid-Gesetz. Geld will der Dachverband nicht springen lassen. Man dürfe die Kräfte nicht verzetteln, sagt Sprecher Michael Wiesner. Es stünden noch andere wirtschaftlich wichtige Abstimmungen auf der Agenda. «Was ist der mutmassliche volkswirtschaftliche Schaden für den Standort Schweiz? Die Antwort auf diese Frage entscheidet über den Mitteleinsatz für eine Abstimmungskampagne.»
Offenbar schätzt man den Schaden eines Neins bei Economiesuisse als nicht gross ein. Beim Schweizer Tourismus-Verband und auch in der Kulturbranche sieht man es anders. Hier gilt das Zertifikat als Grundlage dafür, dass Touristen aus dem Ausland einreisen oder Konzerte durchgeführt werden können.
Schriftsteller Thomas Meyer (47) sagt stellvertretend für viele Kulturschaffende: «Dank des Covid-Zertifikats können kulturelle Veranstaltungen endlich wieder fest programmiert werden. Würde dieses Instrument abgeschafft, wäre die Situation wie letztes Jahr: lauter abgesagte Lesungen infolge Planungsunsicherheit.»
Kultur braucht Zertifikat
Konzertveranstalter André Béchir (72) hebt einen weiteren Aspekt hervor: «Es geht ja nicht nur ums Zertifikat, sondern auch um den Schutzschirm, der uns während der Pandemie geholfen hat und uns weiterhin unterstützt. Ohne das Gesetz gibt es keine Ausfallentschädigungen mehr.»
Auch Christoph Bill, Präsident des Verbandes der Konzert- und Festivalveranstalter, wählt deutliche Worte: «Eine Annahme des Referendums wäre für die Kultur verheerend.» Er setzt darauf, dass sich seine Mitglieder direkt engagieren, und will sie mit Argumentarien versorgen. «Je nach weiterer Entwicklung diskutieren wir sicher noch einmal ein Engagement als Verband direkt, ist die Lage für die Branche doch weiterhin prekär.»
Reisebüros alarmiert
Alarmiert sind auch die Reisebüros. «Viele Betriebe kämpfen immer noch um ihre Existenz. Sollte sich die Pandemiesituation wieder verschärfen, wird es für diese Firmen ohne Covid-Gesetz sehr eng», warnt André Lüthi (60) vom Schweizer Reise-Verband. Fiele das Covid-Gesetz durch, seien auch Härtefallgelder bedroht.
Davor fürchtet man sich auch im Sport. Der Chef der Schweizer Fussballliga, Claudius Schäfer (49), sagt: «Finanzhilfen waren und sind für die Klubs überlebensnotwendig und dürfen durch den Ausgang der Abstimmung nicht gefährdet werden.»
Ob es so gelingt, die trychelnden Massnahmenkritiker zu überstimmen, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Einfach wird es nicht.