Dass im Gesundheitsbereich so einiges im Argen liegt, hat nicht erst die Corona-Pandemie bewiesen. Durch die zunehmende Überalterung der Gesellschaft war der Mangel an Pflegekräften schon zuvor zum Problem geworden. Eine Studie zeigt: Bis 2030 werden 65'000 zusätzliche Pflegende benötigt.
2017 reichte es dem Berufsverband des Pflegepersonals – er reichte die Pflege-Initiative ein. Diese fordert eine Ausbildungs-Offensive, bessere Arbeitsbedingungen, mehr Lohn und Aufstiegschancen. Denn im Grunde genommen gilt Pflege in vielen Bereichen immer noch als Hilfsjob. So braucht es selbst für simple Leistungen wie Stützstrümpfe anziehen oder Blut abnehmen meist die Anordnung eines Arztes oder einer Ärztin, damit diese über die Krankenkassen abgerechnet werden kann.
Parlament suchte den Kompromiss – und fand ihn auch
Anders als der Bundesrat hat sich das Parlament für einen indirekten Gegenvorschlag ausgesprochen, der am Freitag nun in der Schlussabstimmung deutlich angenommen worden ist. Er kommt den Initianten weit entgegen – was wohl auch an der Corona-Krise liegt. Just in der Pandemie, nachdem die halbe Schweiz das Gesundheitspersonal beklatscht hatte, wollte man nicht knausrig sein.
So will das Parlament 469 Millionen Franken in eine Ausbildungsoffensive stecken, ebenso viel müssen die Kantone beisteuern. Und: Künftig sollen Pflegende gewisse Leistungen selbst abrechnen dürfen, wenn die Verbände mit den Krankenkassen entsprechende Verträge abgeschlossen haben. Bis es so weit war, brauchte es zwar mehrere Runden und eine Einigungskonferenz, aber mit der Lösung können nun so ziemlich alle leben.
SP-Nationalrätin Barbara Gysi (56, SG), selber im Initiativkomitee, ist zufrieden. «Wichtige Bedürfnisse sind abgedeckt», betont sie, der Vorschlag sei «sehr gut». Zufrieden ist selbst die SVP, die sich ursprünglich gegen einen Gegenvorschlag ausgesprochen hatte. «Wir haben einen guten Kompromiss gefunden», findet SVP-Ratskollegin Verena Herzog (65, TG). «Insbesondere die Ausbildungsoffensive ist gut investiertes Geld.»
Arbeitsbedingungen bleiben die gleichen
Die Politik ist damit der Pflege entgegengekommen – aber nur auf halbem Weg. Einen «Teilerfolg» nennt Yvonne Ribi vom Berufsverband SBK den nun geschmiedeten Gegenvorschlag. Erfüllt wird nämlich nur die Hälfte der Forderungen. «Es steigen immer noch viele aus, weil sie emotional erschöpft sind.»
Auf der Wunschliste stand nämlich auch, dass Schichten mit mehr Personal dotiert werden und der Job grundsätzlich attraktiver wird, damit weniger Leute das Handtuch werfen – etwa mit besserem Lohn. Beides kommt im Gegenvorschlag nicht vor, entsprechende Anträge waren chancenlos. Ein Argument dagegen: Das sei Sache der Sozialpartner.
Mehr kaum möglich
Die einen sagen es explizit, die anderen lassen es nur durchblicken – aber die Botschaft der Politik an die Pflegenden ist klar: Mehr könnt ihr nicht erwarten, Corona hin oder her. Der Druck auf die Initianten, sich damit zufriedenzugeben und den Rückzug anzutreten, ist gross. Diese haben aber noch eine Verschnaufpause: Rein formal gesehen wird die Initiative selbst erst in der Sommersession fertig behandelt. Erst danach werden die Initianten über den Rückzug entscheiden.
Halten sie an der Initiative fest, könnte noch Ende dieses Jahr abgestimmt werden. Und die Chancen stünden – gerade wegen des neuen Bewusstseins für die Leistung der Pflege – nicht schlecht. Allerdings würde sich die Umsetzung konkreter Verbesserungen um Jahre verzögern. Ob der Rückzug dereinst angetreten wird, ist zurzeit laut Ribi noch völlig offen. «Das Abwägen zwischen dem, was den Pflegenotstand wirklich verhindert und der politischen Realität wird sicher eine Herausforderung.»
Die Schweiz hat zu wenig Pflegefachkräfte – und wird noch viel mehr brauchen. Hier setzt die Pflege-Initiative an, die unter anderem Zustüpfe bei der Ausbildung, aber auch besseren Lohn und Arbeitsbedingungen verlangt. Die Kosten, die alle Forderungen zusammen verursachen würden, wollte die Bundesverwaltung nicht beziffern, da es in der Rechnung zu viele Unbekannte gebe. Der Krankenversichererverband Santésuisse schätzt hingegen, dass bis ins Jahr 2030 an die 5 Milliarden Zusatzkosten pro Jahr anfallen würden.
Eine Milchbüechli-Rechnung gibt es aber nicht. Denn mehr und besser ausgebildetes Personal kostet – aber bessere Pflege senkt auch die Gesundheitskosten, wie die Initianten argumentieren. Für Elvira Wiegers von der Gewerkschaft VPOD ist es ein «unfaires Killerargument», zu sagen, dass bessere Arbeitsbedingungen und Löhne zu höheren Steuern und Krankenkassenprämien führe. Bei «astronomisch hohen» Arztlöhnen werde das schliesslich auch nicht vorgebracht.
Harzige Diskussion um Gegenvorschlag
Inzwischen hat das Parlament einen Gegenvorschlag vorgelegt. Und die Kosten machten auch da Sorgen. Der Knackpunkt war bis zum Schluss die Abrechnung bei den Krankenkassen. Der Kompomiss ist nun, dass es schweizweite Verträge geben soll – und zwar zwischen den Verbänden der Leistungserbringer und der Versicherer.
FDP-Nationalrat Philippe Nantermod (36, VS) – der als einer von nur zwei in der grossen Kammer gegen den Kompromiss stimmte – hält davon wenig. Denn er stellt sich auf den Standpunkt, der bei Diskussionen darüber, wer über die Krankenkasse abrechnen darf, oft eingenommen wird: Mengenausweitung gleich Mehrkosten. «Wenn man einen happigen Prämienanstieg will, ist das der richtige Weg», warnt er.
Die Notbremse dafür, die im Gesetz eingebaut werden soll – dass nämlich bei einem Kostenanstieg «geeignete Massnahmen» ergriffen werden sollen, ist für ihn «nicht überzeugend». Ähnlich klingt es bei Gesundheitspolitikerin Verena Herzog (65, SVP): «Bei der eigenständigen Abrechnung werden wir genau hinschauen, ob sie wirklich nicht zu einer Kostenexplosion führen wird – das scheint mir schwierig kontrollierbar.»
Die Schweiz hat zu wenig Pflegefachkräfte – und wird noch viel mehr brauchen. Hier setzt die Pflege-Initiative an, die unter anderem Zustüpfe bei der Ausbildung, aber auch besseren Lohn und Arbeitsbedingungen verlangt. Die Kosten, die alle Forderungen zusammen verursachen würden, wollte die Bundesverwaltung nicht beziffern, da es in der Rechnung zu viele Unbekannte gebe. Der Krankenversichererverband Santésuisse schätzt hingegen, dass bis ins Jahr 2030 an die 5 Milliarden Zusatzkosten pro Jahr anfallen würden.
Eine Milchbüechli-Rechnung gibt es aber nicht. Denn mehr und besser ausgebildetes Personal kostet – aber bessere Pflege senkt auch die Gesundheitskosten, wie die Initianten argumentieren. Für Elvira Wiegers von der Gewerkschaft VPOD ist es ein «unfaires Killerargument», zu sagen, dass bessere Arbeitsbedingungen und Löhne zu höheren Steuern und Krankenkassenprämien führe. Bei «astronomisch hohen» Arztlöhnen werde das schliesslich auch nicht vorgebracht.
Harzige Diskussion um Gegenvorschlag
Inzwischen hat das Parlament einen Gegenvorschlag vorgelegt. Und die Kosten machten auch da Sorgen. Der Knackpunkt war bis zum Schluss die Abrechnung bei den Krankenkassen. Der Kompomiss ist nun, dass es schweizweite Verträge geben soll – und zwar zwischen den Verbänden der Leistungserbringer und der Versicherer.
FDP-Nationalrat Philippe Nantermod (36, VS) – der als einer von nur zwei in der grossen Kammer gegen den Kompromiss stimmte – hält davon wenig. Denn er stellt sich auf den Standpunkt, der bei Diskussionen darüber, wer über die Krankenkasse abrechnen darf, oft eingenommen wird: Mengenausweitung gleich Mehrkosten. «Wenn man einen happigen Prämienanstieg will, ist das der richtige Weg», warnt er.
Die Notbremse dafür, die im Gesetz eingebaut werden soll – dass nämlich bei einem Kostenanstieg «geeignete Massnahmen» ergriffen werden sollen, ist für ihn «nicht überzeugend». Ähnlich klingt es bei Gesundheitspolitikerin Verena Herzog (65, SVP): «Bei der eigenständigen Abrechnung werden wir genau hinschauen, ob sie wirklich nicht zu einer Kostenexplosion führen wird – das scheint mir schwierig kontrollierbar.»