Es gibt Anführer, die sich für unfehlbar halten. Der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried (60) gehört nicht dazu. Er sagt: «Ich scheitere täglich.» Am Montagmorgen habe er beispielsweise eine Ansprache auf Englisch gehalten, wobei ihm ein Wort nicht eingefallen sei. «Es gab eine peinliche Pause», sagt von Graffenried und lacht. «Ich hinterfrage mich ständig: Hätte ich bei dem Bauprojekt oder der parlamentarischen Initiative früher intervenieren sollen?» Denn letztlich sei niemand perfekt. «Und ich noch viel weniger», witzelt der Berner.
Der Stadtpräsident belässt es nicht bei Selbstkritik. Nein, er ergreift sogar Massnahmen und schickt sich eigenhändig in den Nachhilfeunterricht. Am Sonntag startet in New York ein viertägiges Seminar. 40 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus der ganzen Welt nehmen teil. Von Graffenried wird der erste Schweizer sein, der dort die Schulbank drückt. Organisiert wird der Anlass von der Stiftung des ehemaligen New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg (81). Die Stiftung übernimmt alle Kosten und zahlt auch für den Flug und das Hotel des Berner Stadtpräsidenten.
Einladungen zu solchen Events gebe es laut Alec von Graffenried haufenweise. «Normalerweise gehe ich nicht hin, aber weil dieser Anlass in den Ferien ist, kann ich es einrichten», sagt von Graffenried. Zudem interessiere ihn das Thema. Am ersten Tag soll es darum gehen, welche Möglichkeiten neue Kommunikationswelten wie Social Media bieten. Der Berner findet, er könne noch besser kommunizieren und sagt: «Ich bin kein Hirsch und meist zu passiv auf Social Media.»
Nebst der Kommunikation soll es am Seminar auch um Leadership gehen und wie man eine Idee umsetzt. Von Graffenried hofft, von den anderen Stadtpräsidenten einiges zu lernen: «Manche mögen das lächerlich finden, weil Städte wie Los Angeles viel grösser als Bern sind und daher andere Probleme haben. Aber das stimmt nicht.» Die Themen seien stets dieselben, wie etwa Wohnungsnot, Verkehr oder Migration.
Ferien statt harte Arbeit
Es mangelt also nicht an Themen, die von Graffenried auf der anderen Seite des Atlantiks büffeln kann. Der Stadtpräsident freut sich: «Ich bilde mich weiter und es ist vermutlich intensiv, trotzdem ist es eine Abwechslung. Ein Seminar in New York ist wie Ferien.» Natürlich wolle er sich mit anderen Stadtpräsidenten vernetzen. Und vielleicht treffe er sogar die Uno-Botschafterin. Bis jetzt steht fest: Von Graffenried will mindestens ein Museum besuchen. Es scheint, als wolle er sich auch in der Kunst weiterbilden. (rba)