Hans Stöckli ist gerade ziemlich angesäuert. Der ehemalige Berner SP-Ständerat musste in seiner letzten Session im vergangenen Herbst miterleben, wie eine bürgerliche Mehrheit der kleinen Kammer eines seiner Herzensanliegen zerzauste. Stöckli war Initiant der Volksinitiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung», die 2022 vom Stimmvolk angenommen wurde. Ziel der Initianten war es, dass junge Menschen nicht mehr mit Werbung für Zigaretten oder andere Tabakprodukte in Berührung kommen sollten.
Was die Mehrheit des Ständerats nun beschloss, hat nach Stöcklis Ansicht wenig bis nichts mit dem Volkswillen zu tun. «Einige Punkte, die die Bürgerlichen gegen den Willen des Bundesrats reindrückten, sind ganz klar verfassungswidrig», sagt der Gesundheitspolitiker. «Das ist unanständig und unserem Parlament nicht angemessen.»
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Noch ist das Gesetz nicht in trockenen Tüchern, der Nationalrat beugt sich wohl in der Frühjahrssession darüber. Weil nach der Debatte im Ständerat Stimmen aufkamen, die eingefügten Änderungen seien nicht rechtens, gab die zuständige Gesundheitskommission des Nationalrats bei den Bundesämtern für Gesundheit (BAG) und Justiz (BJ) ein Rechtsgutachten in Auftrag.
Und darin kommt der Ständerat nicht gut weg. So wollte der Bundesrat verbieten, dass Tabakprodukte «durch mobiles Verkaufspersonal an öffentlich zugänglichen Orten, die von Minderjährigen besucht werden können», angeboten werden dürfen. Doch der Ständerat beschloss in der Herbstsession, diesen Passus zu streichen.
Bundesämter rügen den Ständerat
Das Fazit aus dem Gutachten von BAG und BJ: «nicht verfassungskonform». Der vom Volk angenommene Verfassungsartikel sehe vor, dass jegliche Art von Werbung, die Minderjährige erreicht, verboten sei, heisst es im Gutachten: «Folglich fällt […] auch der Verkauf durch mobiles Verkaufspersonal an öffentlich zugänglichen Orten unter dieses Werbeverbot.»
Auch ein vorgeschlagenes Sponsoringverbot schränkte der Ständerat stark ein. Der Bundesrat wollte, dass Tabakfirmen keine Veranstaltungen sponsern dürfen, die von Minderjährigen besucht werden können. Der Ständerat versah diesen Passus mit einem kleinen Zusatz: «… es sei denn, geeignete Massnahmen stellen sicher, dass die Werbung vor Ort für Minderjährige weder sichtbar noch zugänglich ist.»
Einen Event sponsern – und unsichtbar bleiben?
Bloss: Wer einen Event sponsert, will eben gerade gesehen werden und seine Produkte bekannt machen. Die Vorstellung, dass ein Sponsor einer Veranstaltung seine Werbung nur in einem geschlossenen Raum präsentiert, zu dem Jugendliche keinen Zutritt haben, ist ziemlich absurd. Auch Sponsoring sei eine Form von Werbung, erklären denn auch BAG und BJ in ihrem Gutachten. Ihr Fazit: Auch dieser vom Ständerat vorgeschlagene Gesetzesartikel verträgt sich nicht mit der Verfassung.
Der Präsident der ständerätlichen Gesundheitskommission, der Luzerner FDP-Mann Damian Müller, mag das Gutachten nicht kommentieren. Bei den Beratungen sei der Wille der Initiative im Zentrum gestanden, «Kinder und Jugendliche vor Tabakwerbung zu schützen, diese für Erwachsene jedoch weiterhin zu ermöglichen. Die Mehrheit der Kommission hat sich für einen Vorschlag entschieden, der diesen verschiedenen Interessen gerecht wird und mit dem Verfassungstext konform ist. Der Ständerat hat den Vorschlag der Kommission noch geringfügig angepasst.»
Praktisch identisch klingender Wortlaut
Wie fand der Passus, der das Sponsoringverbot faktisch aushebelt, seinen Weg in den Gesetzesentwurf? Eine Spurensuche zeigt: In den Antworten aus dem Vernehmlassungsverfahren gibt es bei mindestens drei Teilnehmenden einen praktisch identisch klingenden Änderungsvorschlag: «Die Verbote […] gelten nicht, wenn geeignete Massnahmen sicherstellen, dass die Werbung vor Ort für Minderjährige weder sichtbar noch zugänglich ist.» Autoren: der Verband Swiss Cigarette und die Tabakmultis Japan Tobacco International und British American Tobacco.
Die Frage drängt sich auf: Hat «Big Tobacco» da am Gesetz aktiv mitgeschrieben und einen ihr genehmen Passus über einen ihr wohlgesinnten Ständerat in die Kommission getragen? Es sei «nachvollziehbar nicht üblich», dass Kommissionsmitglieder deklarieren, woher ihre Vorschläge für Anpassungen stammen, sagt dazu alt Ständerat Stöckli sibyllinisch. Dass die vom Ständerat angenommene Formulierung praktisch gleich klingt wie der Vorschlag der Tabakindustrie, dürfte aber kein Zufall sein. Namen will Stöckli nicht nennen. Das Kommissionsgeheimnis gilt auch nach dem Rücktritt.
«Das ist normal»
Kommissionspräsident Müller erklärt dazu: «Es ist normal, dass Vorschläge von NGOs, Interessengruppen, Verbänden oder Organisationen von der Kommission aufgenommen werden und Eingang in einen Gesetzesentwurf finden.» Auf die Frage, ob in der Kommission klar deklariert worden sei, von wem der Vorschlag zur Abschwächung des Sponsoringverbots komme, ging er nicht ein.
Die Gesundheitskommission des Nationalrats übrigens zeigte sich vom Gutachten der Bundesämter wenig beeindruckt: Sie will an den Änderungen festhalten. Auch wenn sie verfassungswidrig sind.