«Sorry, dazu kann ich wegen meines Präsidiums nichts sagen.» Das ist eine Antwort, die Medienschaffende von Nationalratspräsidentinnen und -präsidenten oft erhalten. Diese wollen sich als höchster Schweizer zurücknehmen bei politischen Fragen. Hier macht auch der Bündner Mitte-Politiker Martin Candinas (42) keine Ausnahme.
Der aktuell amtierende Nationalratspräsident verhält sich im Umgang mit Journalisten gemäss den geltenden Regeln. Weniger genau nimmt er es aber, wenn es ums Mineralwasser geht. Denn Candinas präsidiert seit 2017 die «Interessengemeinschaft Mineralwasser». Zwar gehört es zu unserem Milizsystem, dass auch der Präsident der grossen Parlamentskammer daneben noch bezahlte Ämtli hat, doch weil er sich aktuell auch noch für ein Werbe-Interview vor den Karren der Mineralwasser- und Soft-Drink-Lobby einspannen lässt, bekommt sein Engagement einen fahlen Beigeschmack.
Schon einmal in der Kritik
Es ist nicht das erste Mal, dass Nationalratspräsident Candinas mit seinen Tätigkeiten für dieselben Kreise aneckt. Zwar sind erst vier Monate des laufenden Jahres vergangen, aber das Interview ist schon die zweite Aktion, mit der der Bündner die Grenze des Vertretbaren austestet.
Bereits Mitte März berichtete der «Beobachter», dass Candinas den zuckersüssen Avancen der Softdrink-Lobby erlegen sei. Die IG Mineralwasser hatte die Parlamentarierinnen und Parlamentarier zum Lunch in den «Salon Bernois» im Berner «Casino» geladen. «Coca-Cola stellt dabei den Referenten», hiess es im Artikel.
Natürlich hat es der Redner vermieden, zum umstrittenen Thema Zucker etwas zu sagen. Schliesslich geriet Coca-Cola in die Schlagzeilen, weil es sich zwar verpflichtet hat, den Zuckergehalt in seinen Getränken zu reduzieren, doch das tut der Konzern mit einem Trick: Er lanciert einfach neue, zuckerarme Getränke, während das Coca-Cola-Rezept unverändert bleibt. Die Zuckerreduktion wird dann einfach übers gesamte Sortiment berechnet. Gesünder wird ein Fläschli Coca-Cola dadurch nicht.
Wasser-Werbung
Der Cola-Speaker sprach jedoch über die hohe Qualität von Mineralwasser. Er ist nämlich Nachhaltigkeitsbeauftragter von Coca-Cola und damit verantwortlich für die Qualitätssicherung der Valser Mineralquellen.
Und hier schliesst sich der Kreis: Bei der Eingangsfrage des Interviews wird Candinas zu seinen präsidialen Schwerpunkten befragt und der Bündner gelangt rasch zur Aussage: «Als Bergler ist mir auch das Wasser wichtig.» So werde er die Rheinroute vom Oberalppass bis nach Basel mit dem Bike abfahren. Um dann den Werbespruch anzufügen: «Und zum Thema Wasser gehört auch das natürliche Mineralwasser, das beliebteste Getränk der Schweizerinnen und Schweizer.»
Der Valser-Mann
Damit nicht genug. Das Thema Mineralwasser wird bei der nächsten Frage noch vertieft. Worauf Martin Candinas antwortet: «Natürliches Mineralwasser weckt bei mir Kindheitserinnerungen. Früher kam der Valser-Mann vorbei und belieferte meine Familie mit natürlichem Mineralwasser.»
Welch ein Zufall, dass Candinas just das Coca-Cola-Produkt Valser-Wasser erwähnt. Martin Candinas versichert Blick, dass die Erzählung zutreffe. Und da der Nationalratspräsident aus der Surselva stammt und das Valser-Wasser aus dieser Region kommt, ist das auch sehr glaubwürdig. Aber hätte Candinas dasselbe Interview vor oder nach seinem Präsidialjahr gegeben – es wäre eine sympathische Anekdote gewesen. So aber bekommt sie ein Gschmäckli.
Candinas sieht kein Problem
Darauf angesprochen, verteidigt sich der Bündner: «Ich war schon vor meinem Präsidialjahr Präsident der IG Mineralwasser.» Seine ausserparlamentarischen Engagements führe er auch als Nationalratspräsident weiter. «Und natürlich komme ich den Verpflichtungen, die diese Mandate mit sich bringen, weiterhin nach», sagt er.
Und Candinas präzisiert: «Selbstverständlich würde ich aber kein Interview geben, wenn gerade ein heikles politisches Geschäft anstünde, das ein Mandat tangiert.» Weil das nicht der Fall sei, glaube er nicht, «dass das Mineralwasser-Interview in meiner Rolle als Präsident der Interessensgemeinschaft in Konflikt zu meinem Amt als Nationalratspräsident steht».