Das Gläschen mit dem Löffel drin sieht niedlich aus. Ein speziell verpackter Espresso-Löffel etwa? Armeeapotheke-Chef Dan Aeschbach (46) schmunzelt, als er den Journalisten erklärt, worum es sich bei dem Gegenstand handelt. Denn der Besuch verzieht leicht angeekelt das Gesicht und weicht für einen Moment zurück. «Es ist ein Set für die Stuhlprobe-Entnahme», lacht Aeschbach.
Vor ihm auf dem Tisch liegt auch noch ein Trinkhalm aus Glas. «In der heutigen Ökologie-Debatte eigentlich topmodern, für uns aus medizinischer Sicht wegen der Hygiene-Massstäbe leider nicht mehr einsetzbar», erklärt er dazu.
Inventur an 17 Lagerorten
Löffel und Trinkhalm wird die Armee in nächster Zeit «ausser Dienst nehmen». Wie eine Menge weiterer Gegenstände, die nicht mehr dem medizinischen Standard entsprechen. «Hier haben wir ein weiteres Beispiel», sagt Aeschbach beim Rundgang durch die Armeeapotheke in Ittigen BE und zeigt auf eine Schachtel Zahnarztbohrer. «Die sind veraltet und müssen ebenfalls weg.»
In den Regalen finden sich immer wieder Lücken. Grund dafür: Die Armeeapotheke hat vor kurzem eine ausserordentliche Totalinventur an ihren aktuell 17 Lagerstandorten gemacht. Jetzt wird auf- und umgeräumt!
Knochenarbeit – im wahrsten Sinne des Wortes
Bei der Kontrolle kamen allerlei Trouvaillen zum Vorschein. Zum Beispiel auch Beile oder Holzschuhe. Wofür die gebraucht wurden? Aeschbach zuckt die Schultern. «Das können wir heute nicht mehr sagen.»
Auch ein paar Dutzend Skelette sind an Lager – echte notabene. «Es handelt sich dabei um Ersatz-Skelette für die medizinische Ausbildung», erklärt Aeschbach dazu. Man schaue nun, wie viele man davon behalte oder allenfalls an Universitäten und andere Institutionen abgebe.
«Dank der Inventur haben wir nun einen klaren Überblick über unser Material. Je nach Bedarf können wir die Artikel umlagern oder ganz ausser Dienst nehmen», so Aeschbach. Mit der Aufräumaktion gewinnt man Platz. «Dank der Triage können wir den Lagerplatz gezielter und effizienter nutzen, damit lassen sich auch Betriebskosten einsparen.»
Zu viel oder zu wenig Material
Bei der Bestandesaufnahme wurden aber auch Abweichungen entdeckt: So kam Material im Wert von rund 3,1 Millionen Franken zum Vorschein, welches im System nicht abgebucht war. Warum, bleibt unklar. «Es handelt sich dabei wohl um Material, welches an die Truppe ausgeliefert, dort aber nicht verwendet wurde und später wieder zurück in die Armeeapotheke gelangte», vermutet Aeschbach. «Doch da war es wohl schon als ‹Verbrauch› abgebucht.»
Auch der umgekehrte Fall kam vor: So wurde an einem Standort ein Verlust von rund einer halben Million Franken verzeichnet. Ein Diebstahl etwa? Aeschbach wollte es genau wissen und liess das Ganze nochmals kontrollieren. Die Auflösung: Einmal klappte die Übertragung ins neue System nicht, ein anderes Mal handelte es sich um einen Zählfehler.
Jetzt muss aussortiert werden
Doch mit der Inventur geht die Knochenarbeit erst richtig los: Die Überprüfung ermöglicht nämlich auch, überzähliges, unnötiges oder unzeitgemässes Material auszusortieren. «Ein Systemteam beurteilt, was mit solchen Materialien geschieht», so Aeschbach.
Denkbar ist etwa ein Weiterverkauf – so sind aktuell etwa Schutzmasken, Einweghandschuhe oder Ganzkörperschutzanzüge ausgeschrieben. In diesem Jahr wurden zudem bisher 16 Millionen Masken zum Discountpreis von einem Rappen pro Stück an Kantone und Gemeinden oder gar gratis an soziale Institutionen abgegeben. Gewisse Güter kommen für die humanitäre Hilfe infrage. So hat der Bund gerade erst 30 Tonnen an Hilfsgütern nach Nepal geschickt.
ABC-Triage
Was nicht mehr genutzt oder verkauft werden kann, kommt ins Recycling oder in den Müll. «Entsorgung ist aber die letzte Option», so Aeschbach. Das gilt übrigens auch für jene Masken, die das Verfalldatum mittlerweile überschritten haben. «Wir werfen keine Masken weg, die noch brauchbar sind», macht Aeschbach klar. «Diese werden eingelagert und bei Bedarf werden sie in einem Prüflabor kontrolliert, um bei erfolgreichem Bestehen das Verfalldatum zu verlängern.»
Die Totalinventur dient aber auch dazu, die Güter neu zu ordnen und gezielter zu lagern. Dafür wurden die Artikel einer Analyse unterzogen und in drei Kategorien eingeteilt. Zur A-Kategorie gehören jene Güter, die oft gebraucht werden – etwa Medikamente, Scheren und Verbandsmaterial. «Diese Artikel lagern wir an unseren Hauptstandorten ein, wo sie rasch griffbereit sind», so Aeschbach.
In die B-Gruppe gehören jene Mittel, die etwas weniger häufig umgeschlagen werden. Zur C-Kategorie zählen schliesslich «Schläferartikel», wie Aeschbach sagt. Also jene, die nur selten bis gar nicht gebraucht werden, aber trotzdem vorrätig sein müssen. «Dazu gehören Artikel, die praktisch nur im Kriegsfall oder bei Katastrophen gebraucht werden, wie etwa Brandwundenverbände.»
Vom Benziner auf den Tesla
Auslöser für die Inventur war die Integration des IT-Systems der Armeeapotheke in dasjenige der Gruppe Verteidigung. Die Beschaffung von Corona-Schutzmaterial, wegen welcher die Armeeapotheke letztes Jahr in die Kritik geriet, hatte die Dringlichkeit noch verstärkt. Die Armeeapotheke musste einen Mammutauftrag erfüllen, den ihr die Politik quasi über Nacht zugeschanzt hatte. Fehler und Überforderung waren vorprogrammiert.
Der Auftrag zeigte aber auch brutal die Problematik beim veralteten IT-System auf. Per Anfang Jahr wechselte die Armeeapotheke jedoch auf das neue System. «Das hat sehr gut funktioniert», so Aeschbach. «Eine Kampfwertsteigerung. Als würde man von einem handgeschalteten Benziner auf einen hoch technisierten Tesla umsteigen.»
Jetzt ist die Politik am Zug
Die Armeeapotheke hat aufgrund der Pandemie ein bewegtes Jahr hinter sich. Offen ist, welche Rolle sie künftig in der Pandemiebekämpfung spielen wird. Wird sie die kurzfristig übernommene Aufgabe auch langfristig erfüllen müssen? Entscheiden muss dies die Politik, allen voran der Bundesrat mit Verteidigungsministerin Viola Amherd (58). So hat das VBS die Erarbeitung einer Vision und Strategie für die Armeeapotheke bereits an die Hand genommen.
«Wir haben im Verlauf der Pandemie viel gelernt», sagt Aeschbach. Mit dem jetzigen Personalbestand der Armeeapotheke sei eine solche Aufgabe langfristig aber nicht zu stemmen. Auch jetzt noch helfen rund 60 Mitarbeitende aus anderen Bereichen der Logistikbasis der Armee aus. «Die Politik muss definieren, wer künftig welche Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten in der Krisenbewältigung übernimmt», so Aeschbach. Und er macht klar: «Die Armeeapotheke könnte eine solche Aufgabe langfristig nur bewältigen, wenn sie die entsprechenden Strukturen und Ressourcen erhält.»