Es ist seit einem halben Jahrhundert dieselbe Leier: Ein paar Wochen vor der Abstimmung erklingt im Schweizer Fernsehen und Radio ein Alphorn, dann tritt eine Bundesrätin oder ein Bundesrat mal mehr, mal weniger schwungvoll vor die Mikrofone, um dem Volk die Position der Landesregierung für die nächste Abstimmung zu erklären. Zuletzt informierte vor drei Wochen zum Beispiel Bundesrätin Karin Keller-Sutter (59) über die OECD-Mindestbesteuerung, die am Sonntag angenommen wurde.
Solche Ansprachen stehen seit Längerem in der Kritik – in erster Linie natürlich bei jenen, die bei einer Vorlage anderer Meinung als der Bundesrat sind. Wie die Westschweizer Zeitung «La Liberté» berichtet, muss jetzt gar das Bundesverwaltungsgericht entscheiden, ob diese Tradition die Meinungsvielfalt verletzt.
Denn die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen entschied im Herbst 2022: Die Ansprache von Bundesrat Ueli Maurer (72) zur Frontex-Vorlage habe die besonderen Anforderungen an Ausgewogenheit, Unparteilichkeit und Fairness nicht eingehalten. Die Gegner konnten ihre Sichtweise nicht gleichwertig präsentieren.
SRG verlangt Klärung
Die SRG zieht das Urteil nun weiter vor das Bundesverwaltungsgericht. «Je nach Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts werden die Reden angepasst oder gestrichen», sagt SRG-Mediensprecherin Sibylle Tornay zu «La Liberté».
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Der Bundesrat hingegen stellt sich auf die Position, er müsse die Wähler vollständig, objektiv und verhältnismässig informieren. Auf dieser Grundlage «ist der Bundesrat der Ansicht, dass diese Ansprachen nicht nur gerechtfertigt, sondern auch notwendig sind», sagt Ursula Eggenberger, Sprecherin der Bundeskanzlei. Die Ansprachen hätten sich bewährt.
In der Politik sind die Meinungen gespalten: Gewerkschaftschef und Nationalrat Pierre-Yves Maillard (55) sieht die Ansprachen als illegal an, wie «La Liberté» schreibt. Auch die Gegenseite müsse zu Wort kommen. Hingegen ist für FDP-Nationalrätin Jacqueline de Quattro (62), die Sendezeit «unverzichtbar» für den Bundesrat. (bro)