Medienministerin Sommaruga will nach Belästigungsaffäre bei SRG Kulturwechsel sehen
«Den Worten müssen Taten folgen»

Ungewohnt heftig reagiert die SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga auf die Belästigungen bei der SRG in der Romandie. Ihr Signal ist unmissverständlich: Die Chefs haben zu lange weggeschaut. Das wird nicht mehr möglich sein. Direktor Gilles Marchand muss liefern.
Publiziert: 16.04.2021 um 20:24 Uhr
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Aktualisiert: 16.04.2021 um 20:33 Uhr
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SRG-Verwaltungsratspräsident Jean-Michel Cina hat die Erkenntnisse der Untersuchungen vorgestellt.
Foto: Keystone
Pascal Tischhauser

Medienministerin Simonetta Sommaruga (60) reagiert mit ungewohnt klaren Worten auf Untersuchungsberichte zu den Belästigungsvorwürfen beim Westschweizer Fernsehen (RTS). Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) hatte diese am Freitag vorgestellt. «Die Abklärungen haben gezeigt, dass es zu Belästigungen gekommen ist – und das ist inakzeptabel», so die SP-Bundesrätin.

Noch sind nicht alle Untersuchungen abgeschlossen. Und das, was der Öffentlichkeit präsentiert wurde, ist dünn. So ist es bemerkenswert, dass Sommaruga in dieser Phase so eindeutig Stellung bezieht. Das Signal ist unmissverständlich: Die Belästigungsfälle und der Umgang damit werden von der Bundesrätin nicht hingenommen. Entweder räumt die SRG selbst auf – oder die Medienministerin sorgt für Ordnung.

Sommaruga will «einen Kulturwechsel auf allen Führungsebenen». Da muss sich selbst der SRG-Verwaltungsrat warm anziehen. Die Bundesrätin verlangt, «dass man jetzt hinschaut, wenn etwas ist. Dass man sorgfältig abklärt, wenn es Meldungen gibt. Und drittens, dass man die Konsequenzen zieht». Das alles ist in der Vergangenheit offenbar nicht geschehen.

Marchand ist gefordert

Die externen Untersuchungen haben laut SRG in einem von drei Fällen Mängel in den zuständigen Fachabteilungen festgestellt. Die damals verantwortliche RTS-Geschäftsleitung habe ihre «sekundäre Aufsichtsverantwortung» zu wenig wahrgenommen. Das lässt aufhorchen: RTS-Direktor – und damit die zentrale Person in der Geschäftsleitung – war just der heutige SRG-Generaldirektor Gilles Marchand (59).

Sommaruga betont, dass «der Verwaltungsrat» Marchand das Vertrauen ausgesprochen hat. Marchand müsse den Wandel herbeiführen. «Das ist Chefsache!» Sie werde das genau beobachten. Das lässt erahnen, dass Sommarugas Vertrauen in den SRG-Chef nicht so gross ist wie das des Verwaltungsrats unter Präsident Jean-Michel Cina (57).

Nur dank der Presse reagierte die SRG

Zweifel an der früheren RTS-Führung weckt auch die Tatsache, dass nicht interne Beschwerden zu Untersuchungen führten, sondern erst Recherchen der Zeitung «Le Temps». Das Westschweizer Blatt berichtete Ende Oktober 2020 über Belästigung bei RTS, worauf der SRG-Verwaltungsrat aber umgehend Abklärungen einleitete.

Obwohl die Untersuchungen erst im Sommer abgeschlossen werden, hat die SRG angekündigt, das interne Meldesystem für Belästigungsfälle zu verbessern und die Leute zu schulen. Und auch personelle Konsequenzen haben die Zwischenergebnisse der Untersuchungen: Der TV-Chefredaktor sowie der Leiter der Personalabteilung müssen RTS verlassen. Der frühere RTS-Starmoderator Darius Rochebin (54) hingegen wird von den Untersuchungen entlastet – er arbeitet nicht mehr bei RTS.

Gewerkschaft sieht Marchands Rolle als «problematisch»

«Den Worten müssen Taten folgen», erwartet Sommaruga. Die SRG müsse ein Vorbild sein, so die Medienministerin.

Noch deutlicher wird die Schweizer Syndikat Medienschaffender (SSM). Die Gewerkschaft hält die Rolle Marchands für «problematisch», weil er 2014 von ihr über einen Fall informiert worden war und nicht adäquat handelte. Dennoch erklärte Marchand öffentlich, nichts von den Vorwürfen gewusst zu haben.

Das SSM wird kommende Woche die RTS-Mitarbeitenden zu den Untersuchungsergebnissen und den Konsequenzen daraus befragen. Man wartet zwar den Abschluss aller Untersuchungen ab. Aber: «Unterdessen werden wir die Situation analysieren und nach Bedarf reagieren», sagt SSM-Zentralsekretär Jérôme Hayoz.

Kommissionschef hinterfragt SRG-Generaldirektor

Auch der Präsident der nationalrätlichen Fernmeldekommission hat Bedenken: Manuel Töngi (54, Grüne) fragt sich, «weshalb es einen Paradigmenwechsel braucht, aber die Führungsetage bleiben soll». Aber auch die Grünen wollen erst den Schlussbericht abwarten.

«Als Kommissionspräsident interessiert mich dieser Bericht genauso», so Töngi. Er schlage seiner Kommission vor, «den SRG-Präsidenten Jean-Michel Cina nach Publikation des Schlussberichts einzuladen», damit sie aus erster Hand informiert werde. Denn: «Der aktuell veröffentlichte Bericht ist dünn – umfangmässig wie inhaltlich.»

Keine Bauernopfer

Für FDP-Nationalrat Kurt Fluri (65) ist wichtig, dass die beiden Personen, die das Unternehmen nun verlassen, «keine Bauernopfer» sind. Wenn ihr Verschulden schwerer wiege als das von Marchand, sei es richtig, dass er im Amt bleibt. Er hält jedoch fest: «Wäre sein Verschulden gleich gross, müsste meiner Meinung nach auch er die Konsequenzen ziehen.»

Anderer Ansicht ist Medienpolitiker Martin Candinas (40, Mitte): Die externen Untersuchungen hätten bei Marchand ja anscheinend keine gravierenden Verfehlungen ergeben. «Ich vertraue dieser Untersuchung.» So sei es konsequent, wenn der Verwaltungsrat ihn im Amt belasse.

Der Bündner argumentiert, dass Sommaruga gemäss eigenen Angaben im Austausch mit dem Verwaltungsrat stand. «Wenn sie der Ansicht gewesen wäre, dass Herr Marchand nicht der Richtige sei, hätte sie das dem Verwaltungsrat klarmachen und dieser hätte sich von Gilles Marchand trennen müssen.» So aber gehe er davon aus, dass die Bundesrätin den Entscheid für Marchand «vollends mitträgt».

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