Die Schweizer Stauseen sind der einzige echte Stromspeicher unseres Landes – und in einem Krisenjahr wie jetzt besonders wertvoll. Niemand weiss, ob die Schweiz im Winter genug Strom importieren kann, damit hier alle Lichter anbleiben. Russland liefere derzeit kein Gas, in Frankreich stünden zahlreiche AKW still – Strom könnte also knapp werden, so Energieministerin Simonetta Sommaruga (61). Der Bundesrat tue alles, um eine Mangellage zu verhindern. Doch: «Garantien gibt es keine.»
Um eine Sicherheitsmarge zu haben, will der Bundesrat eine Wasserreserve in den Stauseen zurückzuhalten. Diese soll 500 Gigawattstunden (GWh) betragen – genug, um einen Stromengpass von 24 Tagen zu überbrücken. Dies aber nur für den Fall, dass alle Schweizer AKW ganz normal produzieren. Würde etwa das Kernkraftwerk Leibstadt ausfallen, würde sich dies entsprechend reduzieren, wie Werner Luginbühl (64), Präsident der Elektrizitätskommission, am Mittwoch in Bern ausführte.
Nur, wenn es keine Importe mehr gibt
Die Reserve dient allein zur Sicherung der Stromversorgung in der kritischen Phase am Ende des Winters. Konkret: Abgerufen werden soll sie nur, wenn es keinen Strom mehr als Deutschland und Frankreich gibt, aus Italien und Österreich nur wenig importiert werden kann und der Stromverbrauch wegen einer Kältewelle um zehn Prozent steigt.
Anfang Oktober wird die Netzgesellschaft Swissgrid die Wasserkraftreserve ausschreiben. Interessierte Betreiber von Speicherkraftwerken können dann ihre Angebote einreichen. Wer den Zuschlag erhält, muss bis Winterende eine bestimmte Menge Wasser zurückhalten. Um die 500 GWh zu erreichen, sind gemäss Luginbühl etwa sieben Stauseen nötig, die in verschiedenen Landesteilen stehen sollten. Die Reserven müssen vom 1. Dezember 2022 bis zum 15. Mai 2023 gehalten werden.
Kilowattstunde wird 1,2 Rappen teurer
Die Stauseebetreiber werden dafür entschädigt. Wie Sommaruga sagte, rechnet der Bundesrat, dass dies zwischen 650 und 750 Millionen Franken kosten werde. Diese Kosten werden auf die Konsumenten überwälzt. Die Kilowattstunde dürfte dadurch rund 1,2 Rappen teurer werden.
Sollten nach Abschluss der Ausschreibung zu wenig Angebote vorliegen oder sollten diese zu teuer sein, kann Sommaruga auch ein Entgelt festlegen und die Kraftwerke zur Reservehaltung verpflichten. «Der Bundesrat erwartet aber, dass die Stromfirmen ihre Verantwortung wahrnehmen», so die Energieministerin.
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Die zweite Absicherung, die der Bundesrat gegen einen möglichen Strommangel vorsieht, sind Reservekraftwerke mit Gas-, Öl- oder Wasserstoffbetrieb. Dazu unterzeichnete der Bund in der vergangenen Woche einen Vertrag mit dem Unternehmen GE Gas Power für den Betrieb von acht entsprechenden Turbinen in Birr AG. (sf/SDA)