Zum Volks-Apéro mit dem Bundesrat gab es Käse und Wein – und ein massives Polizeiaufgebot. Zwar zeigte sich die Landesregierung gestern beim Schwatz mit der Bevölkerung im Luzerner Verkehrshaus betont locker. Ein Buffet war aufgebaut worden, eine Band spielte und das Rednerpult stand zum Greifen nah am Publikum.
Aber die Sicherheitsmassnahmen waren streng: Jeder Besucher wurde am Eingang kontrolliert. Und in der Halle mit den historischen Flugzeugen, wo die Veranstaltung stattfand, gab es überall Polizisten mit Knopf im Ohr, die Personenkontrollen durchführten.
Sie müssen die Spannungen ausbaden
Das alles nicht ohne Grund: Von der wohlwollenden Gleichgültigkeit, die die Schweizerinnen und Schweizer ihrer Landesregierung normalerweise entgegenbringen – kaum jemand kann die sieben Namen vollständig aufzählen, freut sich aber, wenn man einen von ihnen auf der Strasse oder beim Posten trifft; man jubelt sie nicht in den Himmel hoch und ist doch ein bisschen stolz, wenn sie mit den Mächtigen der Welt posieren –, davon ist derzeit nicht viel zu spüren.
Corona zerrt an den Nerven aller. Impfung und Zertifikat spalten die Bevölkerung je nach Standpunkt in Herdenschafe und Freiheitskämpfer oder in Solidarische und Egoisten. Ausbaden müssen die Spannungen die sieben, die in der Pandemie-Bekämpfung am Exponiertesten sind. Auch weil sie seit über 18 Monaten so viel Macht haben wie selten jemand in diesem Land.
Die Sicherheitskräfte waren nervös
Im Vorfeld der Bundesratssitzung «extra muros», ausserhalb der Bundeshausmauern, hatten Massnahmen-Gegner um Mass-Voll-Gründer Nicolas A. Rimoldi denn auch zum Protest auf der Lidowiese vor dem Verkehrshaus aufgerufen. Dort wollten sie der Regierung endlich persönlich die Meinung sagen, gar zum Schmeissen von faulen Eiern und Tomaten war aufgerufen worden. Dazu kam es nicht. Wegen der Zertifikatspflicht kamen die Protestler nicht einmal in die Nähe des Apéros. Dem zigarrerauchenden Rimoldi und seinen 50 Anhängern blieb nichts anderes übrig, als sich hinter dem Zaun des Verkehrshauses zu postieren.
Die Sicherheitskräfte, uniformiert und in Zivil, waren dennoch nervös – und kontrollierten jeden, der sich irgendwie auffällig benahm. Auch Journalisten, die im Bemühen, keine Entwicklung zu verpassen, auf dem Areal hin und her tigerten, wurden mehrfach aufgehalten.
Welcher ist denn jetzt der Bundesrat?
Für die rund 200 Besucherinnen und Besucher drinnen gehörte das Sicherheitsaufgebot wohl zum Bundesrats-Erlebnis dazu. Nebst Seniorinnen und Senioren waren vor allem Familien ins Verkehrshaus gepilgert. Und zumindest viele der anwesenden Kinder hatten an den Polizeiautos mehr Freude als an den Politikern («Papi, welcher von denen soll jetzt ein Bundesrat sein?»).
Diese genossen sichtlich das Bad in der Menge – dicht an dicht, ohne Maske und sogar mit Handschlag wurde gegrüsst, geredet, sich zugeprostet. Die Pandemie, sie schien weit weg. Gesundheitsminister Alain Berset (49) kämpfte sich mit einer Frequenz von drei Selfies pro Meter einmal quer durch die Halle und wieder zurück, ständig umringt von einer Menschentraube und seinen Personenschützern.
Störaktionen blieben aus
Tiefschürfende Gespräche waren so nicht möglich. Und doch hörte man vor allem Worte des Dankes und der Aufmunterung für die drei Bundesrätinnen und drei Bundesräte – Nummer sieben, Ueli Maurer (70), war nicht dabei, weil er derzeit in Washington an einem Finanzgipfel weilt.
Und selbst wenn es Kritik gab («Ich bin meistens nicht gleicher Meinung wie Sie», sagte ein Mann zu Berset): Auf das Selfie wollte auch er nicht verzichten.
Die befürchteten Störaktionen blieben – fast – aus. Zwei Mass-Voll-Mitglieder schafften es ins Publikum, wurden aber von der Polizei herausgezogen, bevor sie Berset mit ihren Vorwürfen konfrontieren konnten.
Eine kleine, aber laute Minderheit
Und als die Bundesräte das Verkehrshaus (durch den Lieferanten-Eingang) verliessen, skandierten Rimoldi und der auf 20 Köpfe geschrumpfte Anhang «Liberté»- und «Schande»-Rufe.
Die Bundesräte werden es wohl bemerkt haben. Doch wenn diese Tuchfühlung mit dem Volk ihnen eines gezeigt hat, dann wohl das: Es ist eine kleine, aber laute Minderheit, die sich in einer Diktatur wähnt. Viele andere sind dankbar fürs demokratische Krisenmanagement. Und der grosse Rest: wohlwollend gleichgültig.