Knatsch bei der Kirche
«Ehe für alle» spaltet die Christen

Die «Ehe für alle» hat wenig mit dem Gang zum Altar zu tun. Trotzdem denken viele bei der Abstimmung darüber an die Kirche – das sorgt dort für Streit
Publiziert: 14.08.2021 um 17:23 Uhr
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Aktualisiert: 15.08.2021 um 16:45 Uhr
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Am 26. September kommt die Vorlage zur «Ehe für alle» zur Abstimmung.
Foto: Keystone
Noa Dibbasey

Mindestens 61'027 Menschen denken: «Die Ehe ist die natürliche Lebensgemeinschaft von Mann und Frau.» Exakt so viele haben das Referendum gegen die «Ehe für alle» unterschrieben. Weshalb die Schweiz am 26. September darüber abstimmt, ob auch gleichgeschlechtliche Paare den Bund fürs Leben schliessen dürfen.

Federführend bei der Vorlage sind SVP und EDU. Die rechtskonservativen Parteien stören sich vor allem an einem Zusatz über die Samenspende für lesbische Paare. Die verstosse gegen die Verfassung – und, so die EDU auf ihrer Homepage, gegen die «biblischen Ideale einer lebenslangen Ehe zwischen Mann und Frau, welche die beste Grundlage für das Aufwachsen von Kindern ist».

Widerstand im Namen des Kindes

Allerdings sagen längst nicht alle Christinnen und Christen in der Schweiz zu dieser Definition Ja und Amen. Widerstand kommt aus den verschiedensten Milieus. Auch in der christlichen Partei EVP hat die Debatte zu Knatsch geführt.

Offiziell lautet deren Parolenfassung: Nein zur Homo-Ehe. Denn auch die EVP sieht die Samenspende kritisch: Zwar habe man grosses Verständnis für gleichgeschlechtliche Paare und deren Wunsch nach Gleichberechtigung, erklärt EVP-Generalsekretär Roman Rutz gegenüber SonntagsBlick. «Aber sobald Kinder betroffen sind, muss man vorsichtig sein», findet er. Mit einer Samenspende für Lesben würde den Kindern die Identitätsfindung erschwert. «Ihnen fehlt im Leben nicht nur der biologische, sondern auch der soziale Vater», bemängelt er.

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Gespaltene EVP

«Da mache ich nicht mit», erklärte Michael Wiesmann auf dem reformierten Medienportal ref.ch. Der Pfarrer aus Buchs ZH teilte seinen Austritt aus der EVP medienwirksam mit. Seine Kritik: Mit dieser Haltung argumentiere die Partei wie die EDU, also unsachlich und mit ideologischen Scheuklappen.

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Auch prominentere Mitglieder können mit der Parolenfassung der Partei nichts anfangen. Der Zürcher EVP-Nationalrat Nik Gugger machte sich bereits 2019 für die Homo-Ehe stark – damals in der SRF-Sendung «Club». Er betont: «Christ zu sein, heisst für mich, den Mitmenschen mit Liebe und Respekt zu begegnen.» Gleichwohl respektiere er den Entscheid seiner Partei, sagt er zu SonntagsBlick.

Dominic Täuber, Co-Präsident der Jungen EVP, möchte sich nicht öffentlich zum Abstimmungskampf äussern. Seinem Smartvote-Profil ist jedoch zu entnehmen, dass auch er sich über ein Ja an der Urne freuen würde. «In einer Partei, die sich in der politischen Mitte verortet, werden solche Themen immer kontrovers diskutiert», kommentiert Generalsekretär Rutz.

Katholische Kirche auf Vatikan-Linie

Auch in den Kirchen herrscht Uneinigkeit über die «Ehe für alle». Die katholische Kirche wollte sich der Diskussion diskret entziehen und verwies zunächst darauf, bei der Vorlage gehe es lediglich um die zivilrechtliche Ehe. Dann aber fasste die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) entsprechend der offiziellen Lehre des Vatikans die Nein-Parole – im Interesse des Kindeswohls.

Zwar sei man gegen Diskriminierung homosexueller Menschen, doch sieht die Bischofsskonferenz einen Unterschied zwischen Diskriminierung und Differenzierung. Da gleichgeschlechtliche Paare nicht auf natürlichem Weg Kinder zeugen können, könne die SBK die Ehe für alle nicht unterstützen.

Klar ist: Katholische Kirchen in der Schweiz werden auch bei einem Ja zur Vorlage keine homosexuellen Vermählungen durchführen. Viele Katholiken bedauern diesen Entscheid, wie SonntagsBlick aus mehreren Quellen im katholischen Milieu erfuhr.

Katholischer Frauenbund auf Pro-Seite

Dennoch wird die Nein-Parole dort nur hinter vorgehaltener Hand kritisiert. Franziska Driessen-Reding, Präsidentin des Zürcher Synodalrats, also der Exekutive der Katholikinnen und Katholiken im Kanton, setzt sich öffentlich für die Homo-Ehe ein. Der Schweizerische Katholische Frauenbund (SKF) wünscht sich bereits seit Jahren mehr Offenheit.

«Aus Sicht des Katholischen Frauenbunds ist Homosexualität ganz klar ein Teil der göttlichen Schöpfung», erklärt SKF-Sprecherin Sarah Paciarelli. Die Öffnung der Ehe beseitige nicht nur eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung, sie stärke aus der Warte des SKF auch die Familie. «Es ist schliesslich Realität, dass Regenbogenfamilien schon lange in der Schweiz existieren.» Mit einem Ja zur Ehe für alle könne man die Beziehung von Kindern zu ihren tatsächlichen Bezugspersonen endlich gesetzlich absichern. Dass die Kirche die Familie durch Verbote schützen wolle, hält Paciarelli für einen Fehler.

Reformierte liberaler

Ähnlich liberal zeigt sich die evangelisch-reformierte Kirche. Bereits 2019 sprach der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) seine Befürwortung zur zivilrechtlichen Ehe für alle aus. Wird die Vorlage angenommen, dürften in gewissen reformierten Kirchen auch bald gleichgeschlechtliche Paare vor den Altar treten. Die SEK empfiehlt ihren Mitgliedskirchen, solche Trauungen durchzuführen – vorausgesetzt, die Pfarrerinnen und Pfarrer können sie mit ihrem Gewissen vereinbaren.

Und die Freikirchen? Deren Dachverband will die Ehe nicht für homosexuelle Menschen öffnen. «Die Ehe zwischen Mann und Frau behält aufgrund ihres Potenzials eine gesonderte Benennung», heisst es dort unter Hinweis aufs Kindeswohl. Auch die Fortpflanzungsmedizin betrachteten die Freikirchen mit Sorge.

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