Am Anfang war da Christoph Blocher. 2006 präsentierte der alt Bundesrat, zu dem Zeitpunkt Justizminister, eine Revision zum Kinder- und Erwachsenenschutzrecht.
Wenn bis dahin ein Kind mit blauen Flecken im Klassenzimmer auftauchte oder eine alleinstehende ältere Person den Alltag nicht mehr bewältigen konnte, mussten Laien aus den einzelnen Gemeinden ran. Das Problem: Die immer komplexer werdenden Fälle überforderten die Gemeindepolitiker. Eine Professionalisierung müsse her, signalisierte der SVP-Magistrat. Sprich: Sozialarbeiter, Psychologen und Juristen sollen sich «mit Sachverstand» um schutzbedürftige Menschen kümmern.
Unter der Bundeshauskuppel war man sich (fast) einig: National- und Ständerat sagten mit 191 zu 2 Stimmen ja zur Reform. Referendum? Kein Thema!
Die Handhabung ist kantonal geregelt
Seit Januar 2013 (dann trat das Gesetz in Kraft) wurden 146 Kesb-Stellen gegründet. 715 Mitarbeiter klären ab, ob eine Person schutzbedürftig ist oder Hilfe braucht. Und: Sie entscheiden, mit welchen Massnahmen geholfen werden soll. Pikant: Der Kostenverursacher hat selbst kein Budget. Kommt es zu horrenden Kosten, müssen das – wie im Fall Boris* – die Gemeinden und die Krankenkasse berappen.
Die Handhabung der Kesb ist – gut schweizerisch – von Kanton zu Kanton verschieden. In Zürich, wo Boris und seine Mutter leben, wird die Kesb von den Gemeinden getragen. Im Aargau, in Neuenburg oder Schaffhausen ist sie eine Abteilung des kantonalen Gerichts, in Zug, Bern, Glarus, Schwyz oder Graubünden eine eigene kantonale Behörde.
Doch egal, wie die Kinder- und Erwachsenenschützer organisiert sind: In der Kritik stehen sie schweizweit. Der traurigste Anlass dazu lag am Neujahrstag 2015 tot im Kinderbett. Im «Fall Flaach» hatte eine Mutter ihre zwei- und fünfjährigen Kinder erstickt. Ihre unfassbare Erklärung: Die Kesb wollte ihre Kleinen in einem Heim platzieren statt – wie von der Mutter gewünscht – bei den Grosseltern unterbringen.
Prominente Kesb-Gegner
Seither hat sich ein regelrechtes Netzwerk gegen die institutionalisierten Helfer aufgebaut. An vorderster Front: SVP-Nationalrat Pirmin Schwander. Er will die Reform seines Partei-Übervaters rückgängig machen. Zu Hause in Schwyz wird bereits am 21. Mai über die kantonale Kesb-Initiative abgestimmt.
Dort will Schwander, anders als das Kantonsparlament (63 zu 30 Stimmen dagegen), dass die Kesb wieder Sache der Gemeinden wird. Auch schweizweit will er gegen die Kesb vorgehen. Sein Initiativtext «Eigenständiges Handeln in den Familien und KMU» wird derzeit von der Bundeskanzlei geprüft. Gibt sie das Okay, darf der Kesb-Gegner auf Unterschriftensammlung.
Dabei erhält er von prominenter Seite Unterstützung: Autorin Zoë Jenny und Oberfeministin Julia Onken führen ebenfalls einen Kreuzzug gegen die Kesb. Gemeinsam sind sie auch federführend im Verein Kesb-Schutz.
Und auch der Bundesrat sieht bei der Kesb Handlungsbedarf. Zwar arbeite die Kesb grundsätzlich gut, so Justizministerin Simonetta Sommaruga. Ihr Beweis: Die Anzahl Zwangsmassnahmen sei nicht wie von den Gegnern erwartet gestiegen, sondern sogar gesunken. Abklären lassen werde sie trotzdem, inwiefern Grosseltern und andere nahestehende Personen besser einbezogen werden könnten. Denn wenn das Kind Hilfe braucht, sollte das Grosi auch helfen dürfen.
* Name der Redaktion bekannt.