Corona hat die Regierung zusammengeschweisst. Dieser Eindruck herrschte zumindest bis jetzt vor. In den vergangenen eineinhalb Jahren begab sich der Bundesrat in die Schildkrötenformation, wenn eines seiner Mitglieder in der Kritik stand. Unvergessen ist die gereizte Reaktion von SVP-Magistrat Guy Parmelin auf den Diktator-Vorwurf gegen SP-Kollege Alain Berset. Unvergessen auch, wie Ueli Maurer in der Diskussion um die Wirtschaftshilfe betonte, dass der Bundesrat als Gesamtgremium entscheide. Einer für alle, alle für einen. Die Spin Doctors der Verwaltung vermitteln dieses Bild erfolgreich.
Jetzt ist es Justizministerin Karin Keller-Sutter, die mit einer Äusserung die harmonische Fassade in Frage stellt. Am Freitag hat die Freisinnige in der «Neuen Zürcher Zeitung», der sie als ehemalige Verwaltungsrätin verbunden ist, einen Gastbeitrag platziert. Das Timing lässt den Leser keinen Zweifel daran haben, dass sich die Zeilen an Regierungskollege Ueli Maurer und seine Partei richten. Der SVP-Bundesrat sorgt seit zwei Wochen als Freund der Freiheitstrychler und als offener Kritiker der staatlichen Covid-Politik für Gesprächsstoff. «Wir haben eine Führungskrise», klagte er vor zwei Wochen bei einem Auftritt im Zürcher Oberland und erntete dafür von den Massnahmenskeptikern frenetischen Applaus.
Nun kontert die Justizministerin in ihrem Hausblatt: «Es ist keine gute Entwicklung, wenn Politikerinnen und Politiker Probleme zuhanden ihrer jeweiligen Klientel bewirtschaften, statt konstruktive Lösungsvorschläge zu machen.» Sie habe nichts gegen eine «lebendige, manchmal harte Debatte», so Keller-Sutter weiter. «Aber wir sollten diese in einem friedlichen Rahmen austragen.»
Spaltung kann «nicht das Ziel sein»
Zwar erwähnt Keller-Sutter die Corona-Pandemie mit keiner Silbe. Ihre Worte wirken aber wie eine Massregelung an die Adresse des Zürchers und seiner Gefährten: «Die Herausforderungen der Zukunft meistern wir nicht, indem wir einen neuen Kulturkampf heraufbeschwören. Wir können sie nur gemeinsam bewältigen.» Es möge zwar «politisch attraktiv sein, sich vom Gegner abzugrenzen», mahnt sie. Aber Spaltung könne «nicht das Ziel sein in diesem Land».
Keller-Sutters Ausführungen stammen aus einer Rede, die sie am 12. September in Einsiedeln SZ hielt – zufällig am selben Tag, an dem erstmals das Bild von Maurer im Trychlerhemd kursierte.
Am Freitag war der Auftritt des Finanzministers in Wald ZH noch einmal Thema im Gesamtbundesrat. Gemeinsam musste man sich auf die Antworten zu den insgesamt neun Fragen einigen, welche die SP-Fraktion dazu eingereicht hat und via «Tages-Anzeiger» öffentlich machte. Bundespräsident Guy Parmelin wird diese Antworten am Montag im Nationalrat vortragen.
Nach SonntagsBlick-Informationen zeichnet sich ab, dass die Erklärungen samtweich ausfallen werden. Man kann es so lesen, dass die übrigen Bundesräte Maurer nicht zum Märtyrer machen wollen – man belässt es bei Keller-Sutters Mahnung in der «NZZ». Man kann es aber auch so lesen: Die Schildkrötenformation bewährt sich.