Sie können im Bundeshaus lobbyieren, ohne es offenzulegen
Ex-Parlamentarier in geheimer Mission

Wer als Parlamentarier aufhört, hat weiterhin Zugang zum Bundeshaus. Etwa, um zu lobbyieren. Offengelegt wird das nicht. Das ist dem FDP-Ständerat Andrea Caroni ein Dorn im Auge.
Publiziert: 31.10.2022 um 01:14 Uhr
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Aktualisiert: 01.11.2022 um 07:38 Uhr
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Ehemalige Parlamentsmitglieder werden nicht wie Lobbyisten behandelt – auch dann nicht, wenn sie gegen Bezahlung lobbyieren.
Foto: Keystone
Sophie Reinhardt

Wie viel Geld heimsen unsere Parlamentarier dank Nebenjobs ein? Seit dieser Legislatur müssen die Parlamentsmitglieder angeben, wie viele bezahlte Interessenbindungen sie haben. Gerade kürzlich zeigte eine Auswertung, welche Parlamentsmitglieder die grössten Pöstli-Jäger sind. Nur darüber, wie hoch die Entschädigungen für die einzelnen Mandate ist, darüber gibt es noch keine Transparenz.

Und selbst bei der Definition, was ein bezahltes Pöstli ist und was nicht, herrscht Unklarheit. Zudem: Jüngst wurde die Aargauer Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel (65) zu Unrecht von «Lobbywatch» als diejenige Person ausgewiesen, die angeblich am meisten bezahlte Mandate innehatte. Die Auswertung, über die auch Blick berichtet hatte, war mit Fehlern behaftet. «Lobbywatch» hat sich entschuldigt.

Liste ist neuerdings geheim

Während aktive Bundespolitikerinnen und -politiker nun ihre «Ämtli» angeben, sind alt Parlamentarier von dieser Regel ausgenommen. Wer von der Bühne als Ständerätin oder Nationalrat abtritt, kann weiterhin ein- und ausgehen im Bundeshaus. Dafür sorgt der Zugangs-Badge für ehemalige Parlamentarier, der beantragt werden kann. Wer nach seiner Politkarriere einen solchen Türöffner hat, bleibt geheim. Auch dann, wenn er für Lobbyarbeit genutzt wird.

Schon mehrmals wurde vergeblich versucht, den zurückgetretenen und abgewählten Parlamentariern dieses Privileg zu entziehen. Aus einem Vorstoss von Thomas Minder (61, parteilos) geht etwa hervor, dass alt Nationalrat Gerold Bührer (74, FDP) nach seiner Politkarriere den Zugang ins Bundeshaus als Präsident des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse durchaus geschätzt habe. In der letzten Session wurde auch Berns Stadtpräsident und alt Nationalrat Alec von Graffenried (60, Grüne) auf dem Balkon der Wandelhalle gesichtet, wie er mit einer Nationalrätin das Gespräch suchte.

«Kontakt pflegen»

Verschwiegen gibt sich auch die Vereinigung der ehemaligen Mitglieder der Bundesversammlung (VEMBV). Alt Parlamentarier werden dort mit ihrem Ausscheiden automatisch Angehörige. Ziel des parlamentarischen Pensionistengrüppchens ist es, «ehemalige Mitglieder der schweizerischen Bundesversammlung zu vereinigen und unter ihnen den freundschaftlichen Kontakt» zu pflegen. Doch wer in diesem Verein sitzt, ist seit neustem geheim. Jahrelang wurde die Mitgliederliste des Vereins monatlich auf der Website des Parlaments veröffentlicht und aktualisiert. Nun ist sie verschwunden.

Blick wollte dennoch wissen, wer Mitglied ist in der Vereinigung. Denn auf der Website des Parlaments stand nämlich bis vor kurzem: «Die Mitgliederliste kann per Mail bestellt werden». Der besagte Satz wurde nach der Blick-Anfrage von der Website entfernt und die Einsicht verwehrt. Es handle sich um einen privaten Verein, es gebe kein öffentliches Interesse daran, heisst es bei der Bundesverwaltung.

Alt Politiker reklamierten

Warum plötzlich diese Diskretion, wenn der Verein vorher doch jahrelang seine Mitglieder auswies? «Die Liste wurde aufgrund der fehlenden Rechtsgrundlage beziehungsweise der fehlenden Zustimmung der Mitglieder des VEMBV zur Publikation nach Rücksprache mit dem Präsidenten von der Website genommen», sagt der zuständige Beamte bei den Parlamentsdiensten auf Anfrage. Es sei von einzelnen Mitgliedern negative Rückmeldungen zur Veröffentlichung der Liste gekommen. So waren wohl auch sensible Daten wie Telefonnummern darauf zu finden.

VEMBV-Präsident ist der umtriebige Sportfunktionär und alt CVP-Ständerat und Filippo Lombardi (66). Er selbst hat heute noch knapp 20 Verwaltungsratsmandate inne. Auf Anfrage sagt er, er habe keine Kenntnis darüber, warum die Liste nicht mehr öffentlich sei. Er werde der Sache aber auf den Grund gehen.

Die Geheimnistuerei um alt Parlamentarier geht FDP-Ständerat Andrea Caroni (42) gegen den Strich. Vor allem, was den Zugang ins Bundeshaus angeht. «Es fehlt bis heute eine rechtliche Grundlage sowie ein sachlicher Grund dafür, dass alt Parlamentarier Zugang zum Bundeshaus erhalten und dort intransparent lobbyieren können», so der Jurist.

Parlamentarier wollen nichts ändern

Caroni hatte darum im Parlament gefordert, dass ein Akkreditierungssystem für Lobbyisten im Bundeshaus eingeführt werde. Gemäss diesem hätten alle Lobbyisten, die im Parlamentsgebäude arbeiten, ihre Auftraggeber bekannt geben müssen.

Das lehnte der Nationalrat ab, genauso wie Caronis Forderung, den Zugang für alt Parlamentarier einzuschränken. «Zu viele amtierende Parlamentarier waren darauf bedacht, dass ihnen dieser Zugangs-Badge auch nach ihrer Amtszeit einmal hilfreich sein könnte.» Wohl an sich selber denkend, hätten sich die Parlamentsmitglieder gegen strengere Regeln für ehemalige Parlamentarier ausgesprochen, vermutet Caroni.

Offiziell lobbyiert nur eine

Mehr Transparenz bei den Interessenvertretern ist im Bundeshaus eine alte Forderung. In einigen Bereichen wurden denn auch schärfte Regeln durchgesetzt: Die Liste mit den Personen, die von einem Ratsmitglied eine Zutrittskarte über das sogenannte «Götti-System» erhalten, ist seit 2012 im Internet einsehbar. Davor war auch das ein Geheimnis.

Freiwillig können Lobbyisten der Schweizerischen Public Affairs Gesellschaft (Spag) beitreten. Der Verband vertritt die Interessen der Lobbyistinnen und Lobbyisten und macht sie transparent. Wer beitritt, muss seine Interessenbindungen offenlegen. Auf der Liste mit über 240 Mitgliedern findet sich heute eine einzige alt Parlamentarierin: Regina Ammann (59) sass 1999 nicht mal ein Jahr lang für den Landesring der Unabhängigen (LdU) im Nationalrat. Heute lobbyiert sie offiziell für den Agrarchemie-Hersteller Syngenta.

Humbel fordert Konsequenz

Nationalrätin Ruth Humbel, die dem Online-Portal Watson einen Einblick in die Einkünfte aus ihren Mandaten ermöglichte – es sind zwischen 65'000 und 75'000 Franken jährlich – , sagt nun: «Ich kenne Politiker, die ein Pöstchen unter 2000 Franken Spesengeldern gar nicht deklarieren.» Da brauche es klare Regeln, ab welchem Betrag ein Mandat als bezahlt qualifiziert werden müsse.

Lobbyismus und Interessenvertretung werde derzeit je nach politischer Haltung unterschiedlich bewertet, stellt sie gegenüber Watson mit dem Fazit klar: «Verbands- und Gewerkschaftsfunktionäre sollten ihre Tätigkeit mit Vergütung ebenfalls deklarieren müssen.»

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