Die Bilder waren verstörend. Beim Zürcher Stadtderby im Oktober 2021 rannten FCZ-Fans nach Abpfiff zum GC-Block, suchten die Konfrontation – und warfen rund 2000 Grad heisse Pyro-Fackeln in den mit Fans des Stadtrivalen gefüllten Sektor!
Es war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die Behörden haben von Fangewalt in und rund um die Stadien endgültig die Nase voll. Rasch drängte Sportministerin Viola Amherd (60) darauf, personalisiert Tickets mit Ausweispflicht einzuführen.
Vorerst passiert gar nichts
Auch die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) hätte die Schraube am liebsten sofort angezogen. Clubs und Liga aber wehrten sich dagegen. Sie wollen die Fans nicht aus den Stadien vergraulen.
Rund anderthalb Jahre sind die Verantwortlichen zusammengesessen. Nun liegt ein 150-seitiger Bericht vor. Herausgekommen ist dabei ein Kompromiss: Für den Eintritt an Fussballspiele der Super League sollen personalisierte Tickets möglich werden – sie werden aber nicht eingesetzt. Jedenfalls noch nicht.
Vorgesehen ist ein stufenweiser Massnahmenplan, der koordiniert im ganzen Land gelten soll. Im Vordergrund sollen weiterhin Dialog und Deeskalation stehen. Erst, wenn gewaltbereite Fans rote Linien überschreiten, wird die Schraube weiter angezogen. Neben personalisierten Tickets umfasst der noch im Detail zu erarbeitende Massnahmenkatalog etwa die Verkleinerung und Schliessung von Gästesektoren oder strikte Vorgaben zu An- und Abreisen.
«Gewaltbereite Chaoten dürfen den Fussball nicht in Geiselhaft nehmen»
Vorerst aber passiert erst mal gar nichts. Sportministerin Amherd nimmt das zur Kenntnis. Kommentieren will sie den Entscheid nicht, was nicht auf Begeisterung hindeutet.
Die KKJPD hingegen versuchte, die einstimmige Einigung am Montag vor den Medien als Erfolg zu verkaufen. Der Entscheid sei ein klares Signal: «So geht es nicht weiter. Gewaltbereite Chaoten dürfen den Fussball nicht regelmässig in Geiselhaft nehmen», betonte der Luzerner Regierungsrat Paul Winiker (66). Die Behörden hätten den am liebsten auch sofort strikte Massnahmen eingeführt, aufgrund der Verhältnismässigkeit aber darauf verzichtet.
Für den Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause (51) ist wichtig, dass nun gemeinsamen vorgegangen wird. «Dann wissen die Fans, woran sie sind, wenn sie sich nicht an die Regeln halten.» Ein koordiniertes Vorgehen könne das vereinfachen. «Der Massnahmenkatalog kann zudem eine abschreckende Wirkung haben», ergänzte Winiker. Das könne präventiv wirken.
Liga macht aus Skepsis kein Geheimnis
Das Projekt werde auch von der Swiss Football League (SFL) und den Clubs unterstützt, versicherte Liga-CEO Claudius Schäfer. Begeistert aber zeigte er sich nicht davon. So zeige sich selbst der Bericht skeptisch zur Wirksamkeit von personalisierten Tickets. Auch Wanja Greuel, CEO der Berner Young Boys, mochte vor den Medien nicht an den Nutzen glauben.
Da befindet er sich in guter Gesellschaft. Der FC Luzern will nichts wissen von personalisierten Tickets. «Sie lösen das Problem nicht», so Medienchef Markus Krienbühl. Ähnlich tönt es von den Grasshoppers: Da die meisten Zwischenfälle ausserhalb des Stadions stattfänden, wären personalisierte Tickets keine zielführende Lösung. Wichtiger sei der Dialog mit allen Gruppen.
«Es ist absehbar, dass solche Tickets von den Fans als Kollektivstrafe wahrgenommen würden», warnte Schäfer. «Es kann sich deshalb wirklich nur um eine ultima ratio handeln.» Die Liga wolle sich wirklich gegen Fangewalt einsetzen. Aber die Massnahmen müssten «verhältnismässig und zielgerichtet» sein.
«Massnahmen, die alle treffen, sind immer schwierig»
Zurückhaltend zeigt sich auch Gewaltexperte Dirk Baier: «Jenen, die Stunk und Krawall machen wollen, kann man immer wieder drohen, sie werden sich durch so etwas nicht abhalten lassen.» Es seien gezielte Massnahmen nötig wie Wegweisungen oder Rayonverbote. «So kriegt man Krawallmacher in den Griff. Aber Massnahmen, die alle treffen, sind ohnehin immer schwierig.»
Und: Es sei wichtig, Chaoten in Einigkeit klarzumachen, dass wir diese Krawalle nicht wollen. «Hier sind die Vereine, die Fanarbeit und die Polizei in der Pflicht.»
«Fans nicht in Sippenhaft nehmen»
Auch Sportpolitiker bleiben skeptisch gegenüber personalisierten Tickets. Eigentlich reichten die Massnahmen, die Behörden und Clubs heute schon ergreifen könnten, sind sich SP-Nationalrat Matthias Aebischer (55) und SVP-Ratskollege Mauro Tuena (51) einig. «Man muss sie einfach knallhart durchsetzen.»
Für MItte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (59) zeigt das Vorgehen, dass personalisierte Tickets die Probleme eben nicht lösen würden. «Diese sind vor allem ausserhalb der Stadien.» Sie erwarte aber auch von den Clubs und Fans selber, dass sie sich für Lösungen zusammenraufen. «Es geht nur um eine kleine Gruppe, die Probleme bereitet», sagt Schneider-Schneiter. «Die Fans sollen nicht in Sippenhaft genommen werden.»