Am Freitag trafen die Spitzen der Bundesratsparteien mit Vertretern der Regierung zu den Von-Wattenwyl-Gesprächen zusammen. Man redete natürlich über Corona, zwangsläufig auch über Europa – und über die Schweizer Kandidatur für den Uno-Sicherheitsrat. Denn schon im Sommer ist die Wahl in der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York geplant. Die Botschaft des Bundespräsidenten und Aussenministers Ignazio Cassis (60, FDP) an die Parteien: Wir sind auf Kurs.
Noch am Freitagabend aber machten Journalisten von Tamedia und CH Media ein Schreiben des russischen Aussenministers Sergei Lawrow (71) publik. Darin verlangt Russland nichts weniger, als dass die Schweiz im Konflikt zwischen Moskau und dem Westen Farbe bekennt – einem Kräftemessen, das die Russen mit ihrer massiven Militärpräsenz an der Grenze zur Ukraine selbst provoziert haben. Cassis’ Aussendepartement (EDA) will nichts überstürzen und erklärt, man werde Russlands Sondierungen in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) diskutieren.
Die Schweiz muss ihre Neutralität bewahren
SVP-Aussenpolitiker Roland Rino Büchel (56, SG) beunruhigt das. «Wir sind auf dem besten Weg, unsere Neutralität auf dem Müllhaufen zu entsorgen», warnt der St. Galler Nationalrat. «Wie wird das erst, wenn wir tatsächlich mit den Grossmächten im Sicherheitsrat am Tisch sitzen?» Es sei höchste Zeit, diese brandgefährliche Übung abzubrechen.
Gegen die Kandidatur hatte sich von Anfang Widerstand geregt. Doch die Befürworter konnten sich im Bundeshaus stets auf eine komfortable Mehrheit verlassen. Als der Bundesrat 2011 die Kandidatur beschloss, regierte im Weissen Haus noch Barack Obama, der Russland als «Regionalmacht» verspottete. Zehn Jahre später indes fordert genau diese Regionalmacht den Westen in einer seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr gekannten Aggressivität heraus.
Das sind die neuen, gefährlichen Vorzeichen, unter denen sich die Schweiz im Sicherheitsrat zu behaupten hätte. Vom martialischen Auftreten Chinas auf der Weltbühne ganz zu schweigen.
SVP fordert: Der Bundesrat solle auf die Bewerbung verzichten
Nun versucht die SVP, das Vorhaben in letzter Minute doch noch zu stoppen. Wenn sich das Parlament ab Ende Februar in Bern versammelt, wird die Rechtspartei eine ausserordentliche Session der Räte zur Kandidatur für den Sicherheitsrat erzwingen. Die SVP habe die Anträge bereits deponiert, bestätigt Fraktionspräsident Thomas Aeschi (43, ZG). Die Stossrichtung ist simpel: Der Bundesrat solle auf die Bewerbung verzichten. Um eine aktuelle Debatte einzuberufen, ist ein Viertel aller Stimmen einer Kammer nötig. Die SVP stellt im Nationalrat 55 von 200 Parlamentariern, das Ratsbüro kann den Antrag der Fraktion also nicht verhindern.
«Die SVP will, dass sich alle Parteien vor der geplanten Wahl der neutralen Schweiz in den UN-Sicherheitsrat im Juni 2022 nochmals für oder gegen die Kandidatur aussprechen», sagt Nationalrat Aeschi. Er sieht die Schweizer Neutralität ebenfalls akut gefährdet. «Die Lage in der Ukraine macht die Gefahren dieser Kandidatur nochmals deutlich.»
Die SVP wolle nicht, dass die Schweiz im Kriegsfall zwischen zwei Grossmächten wählen müsse. «Die Druckversuche haben bereits begonnen, das war zu erwarten», so Aeschi. «Es kann niemanden überraschen, dass die Grossmächte jetzt versuchen, die Schweiz auf ihre Seite zu ziehen.»
Es ist fraglich, ob die Intervention den seit Jahren laufenden Prozess auf der Zielgeraden stoppen kann. Dafür müsste das Signal aus dem Parlament in Richtung Bundesrat schon sehr deutlich ausfallen. Immerhin steht die Rechtspartei nicht allein. Auch Mitte-Präsident Gerhard Pfister (59) hält wenig vom Einzug in den Sicherheitsrat. Auch er deutet Lawrows Anfrage als Vorgeschmack auf künftige Konflikte. «Das EDA wirds nicht packen», bilanzierte er am Freitagabend auf Twitter.
Bevor die Uno also in New York (USA) über die aussenpolitische Rolle der Schweiz entscheidet, muss sich der Bundesrat im heimeligen Bern einigen unangenehmen Fragen stellen.