Demonstrationen im Iran eskalieren
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Nach Tod von Mahsa Amini:Demonstrationen im Iran eskalieren

Iranerinnen sterben für die Freiheit
Wie stehts um die Solidarität der westlichen Feministinnen?

Junge Iranerinnen und Iraner kämpfen gegen den Kopftuchzwang – und um ein wenig mehr Freiheit. Im Westen tun sich seltsame Gräben auf, wenn es um das Stück Stoff geht.
Publiziert: 25.09.2022 um 09:00 Uhr
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Aktualisiert: 25.09.2022 um 15:27 Uhr
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Mahsa Amini, 22, starb am 22. September nach Misshandlungen durch die Sittenwächter.
Foto: IMAGO/ZUMA Wire
Reza Rafi

Ein Mädchen liegt blutüberströmt am Boden und schnappt nach Luft. Helfer kümmern sich um die Verletzte. Rundherum entlädt sich die Gewalt. Diese Szene spielte sich diese Woche in Teheran ab, nur ein paar Flugstunden von der Schweiz entfernt.

Das Land der Mullahs brennt. Junge Leute riskieren ihr Leben für ein bisschen Freiheit. Der Auslöser: Am Freitag vor einer Woche starb die 22-jährige kurdische Iranerin Mahsa Amini nach Misshandlungen durch die Sittenwächter. Sie war verhaftet worden, weil sie ihr Kopftuch «nicht regelkonform» getragen haben soll.

Auch die Schweiz zeigt sich solidarisch mit dem Iran
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Demonstrationen in Zürich:Auch die Schweiz zeigt sich solidarisch mit dem Iran


Abertausende gehen seither auf die Strasse, Frauen reissen sich aus Protest ihren Hidschab vom Kopf und schneiden sich die Haare kurz – unter Lebensgefahr. 22 Todesopfer wurden bis gestern gemeldet, die tatsächliche Opferzahl dürfte um einiges höher liegen.

Kanzler Scholz findet es «schrecklich»

Nicht zum ersten Mal entbrennt im 80-Millionen-Land der Wille zur Freiheit, zuletzt geschah dies 2019. Und stets, wenn die Tragödie wieder aufbricht, wird sie im Westen von einem sonderbaren Phänomen begleitet: Je lauter sie drüben nach Hilfe schreien, desto mehr schaltet man hier auf Flüsterton.

Das gilt freilich weder generell noch universell, in Internetforen und auf Plattformen sowie in manchen politischen Milieus sind die Unruhen das dominierende Thema. Politische und gesellschaftliche Eliten indes reagieren mit Zurückhaltung, der Existenzkampf der Geknechteten um zivilisatorische Selbstverständlichkeiten wird mit beinahe verschämter Stiefmütterlichkeit quittiert, von einem «dröhnenden Schweigen» spricht etwa der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani.

Natürlich findet es der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz «schrecklich», dass Amini gestorben ist, wie er kürzlich auf Twitter mitteilte. Die Opfer unter den «mutigen Frauen» würden ihn durchaus «bedrücken». Der Schweizer Bundespräsident Ignazio Cassis traf am Mittwoch in New York den iranischen Präsidenten und liess im Anschluss brav verlauten, dass er bei dieser Gelegenheit seine «Bedenken» über den tödlichen Vorfall geäussert habe. Ähnlich lau reagierte US-Präsident Joe Biden.

Zur Entlastung der staatlichen Würdenträger sei angemerkt, dass bei internationalen Beziehungen vorrangige Interessen und langfristige Strategien berücksichtigt werden müssen. Ein kurzfristiger Bruch mit gesichtswahrenden Gepflogenheiten kann da schon mal ein geopolitisches Ziel sabotieren. Schliesslich will man die Mullahs von der Nuklearbombe fernhalten und die Schweiz möchte ihr Schutzmachtmandat pflegen – zudem kontrolliert Teheran die zweitgrössten Erdgasreserven der Welt.

Das Ur-Anliegen der feministischen Internationale

Was aber regt sich bei den natürlichen Verbündeten der drangsalierten Iranerinnen, bei jenen also, die sich den Geschlechterkampf auf die lila Fahne geschrieben haben? Wenn junge Frauen und Männer in ihrem Aufbegehren für die Freiheit vom Patriarchat niedergeschossen werden, betrifft dies das Ur-Anliegen der feministischen Internationale, wie unter dem Brennglas dramatisch verdichtet.

Oberstes Organ des weiblichen Helvetien ist der Dachverband Alliance F («Die politische Stimme der Frauen in der Schweiz»). Weder auf dessen Website noch in den sozialen Medien findet sich eine Verlautbarung zu den Ereignissen. Co-Präsidentin von Alliance F ist die Berner GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy. Sie war bis gestern für SonntagsBlick nicht erreichbar.

Eine Organisation, die sich dem grenzübergreifenden Geschlechterkampf verschrieben hat, sind die SP-Frauen. Auf deren öffentlichen Kanälen aber sucht man ebenso lange nach einem Zeichen der Solidarität wie in den parteiinternen Mailings.

Hashtag #MahsaAmini

Als es 2021 um die Initiative für ein Verhüllungsverbot ging, weibelte Co-Präsidentin Tamara Funiciello mit Herzblut dagegen. In ihrer Juso-Zeit hatte die heutige Nationalrätin die Verbrennung ihres BHs inszeniert. Wie laut ist sie heute, während Iranerinnen unter Todesgefahr ihren Schleier ins Feuer werfen?

Auf Anfrage betont die Bernerin, wie sich die SP-Frauen derzeit auf allen Ebenen für die aufbegehrenden Frauen im Iran einsetzen. So habe sie, wie auch das feministische Streikkollektiv, zur Teilnahme an der Solidaritätskundgebung gestern in Zürich aufgerufen. Am Dienstag wird man eine Delegation Iranerinnen im Bundeshaus empfangen. Auf ihr Engagement gegen das Verhüllungsverbot angesprochen, entgegnet Funiciello: «Man hat damals argumentiert, dass ein Verbot bei uns in Ländern wie Iran ein Zeichen setze. Davon merkt man heute leider nichts.»

Besonders laut gegen das Burkaverbot hatte die Operation Libero agiert. So legitim diese Position war, so sehr darf die Frage gestellt werden, was man zur Eskalation im Iran sagt. «Wir solidarisieren uns mit allen, die gegen Zwang sind», stellt Co-Präsidentin Sanija Ameti klar. Der Konnex zur damaligen Abstimmung sei ihr aber zu einfach. «Es geht um die Wahlfreiheit. Weder ein Verbot noch ein Gebot erfüllen diese. Der Frauenkörper wird dadurch zu einem Regulierungsobjekt.» Das geschehe auch bei uns, «einfach mit anderen Vorzeichen». Ausserdem habe sich Operation Libero in den sozialen Medien unter dem Hashtag #MahsaAmini klar positioniert.

Am Donnerstag hat die Regierung in Teheran das Internet heruntergefahren – was die Schlächter deckt und die Koordination der Demonstranten erschwert. Umso eindringlicher appellieren sie an den Westen, den Blick auf die Geschehnisse in ihrem Land zu richten.

Elon Musk und die USA eilen zu Hilfe

Wie bizarr in unseren Breiten zuweilen diskutiert wird, zeigt der Konflikt zwischen einem Zuschauer und dem deutschen ZDF, der darin gipfelt, dass die Social-Media-Redaktion der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt dem User auf Facebook «antimuslimischen Rassismus» vorwirft, weil dieser den geltenden Kopftuchzwang im Iran kritisiert.

Von derlei kulturrelativistischen Auswüchsen blieb die SRG bislang verschont. Der zögerliche Umgang mit dem Thema durch das Service-public-Haus ruft aber auch hier Kritiker auf den Plan; in den SRF-Morgennachrichten am Radio wird die Eskalation im Iran locker vom Tod einer 88-jährigen Filmschauspielerin oder einer Europa-Umfrage verdrängt.

Den wichtigsten Beitrag zur Transparenz leistete die US-Regierung, als sie am Freitagabend eine Generallizenz für das iranische Internet ausstellte und dem Regime damit die Zensur erschwerte – unter starker Mithilfe von Elon Musk, der angekündigt hatte, aus dem gleichen Grund den Breitbanddienst seiner Starlink-Satelliten zu aktivieren.

Die Ereignisse im Iran dürften demnächst auch im Bundeshaus thematisiert werden: Die Zürcher SP-Nationalrätin Min Li Marti verlangt in einer Interpellation Auskunft darüber, was die Regierung tue, um die Menschenrechtsaktivistinnen zu stärken.

Das Schweigen könnte künftig etwas weniger dröhnend ausfallen.

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