Welche Folgen hat die 99-Prozent-Initiative?
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Abstimmung im September:Welche Folgen hat die 99-Prozent-Initiative?

Höhere Kosten beim Firmenverkauf
Was die 99%-Initiative ein KMU wirklich kostet

Die Gegner der 99%-Initiative warnen, dass höhere Kapitalsteuern dramatische Konsequenzen hätten – gerade für Firmen-Nachfolgen. Was ist dran am Horrorszenario?
Publiziert: 20.09.2021 um 00:57 Uhr
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Aktualisiert: 20.09.2021 um 06:08 Uhr
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Der Gewerbeverband hat für Blick anhand eines realen Beispiels durchgerechnet, was die Juso-Initiative im Hinblick auf einen Firmen-Verkauf wirklich bedeutet.
Lea Hartmann

Das Totschlagargument der Bürgerlichen hat drei Buchstaben: KMU. Dass ein Ja für kleinere und mittlere Unternehmen negative Konsequenzen haben würde, davor warnten die Gegnerinnen und Gegner schon bei der Konzernverantwortungs-, Kriegsgeschäfte- oder Pestizid-Initiative. Und nun auch bei der 99%-Initiative.

Die Initiative aus der Küche der Juso will, dass Kapitaleinkommen eineinhalb Mal höher besteuert wird als Arbeitseinkommen. Das betrifft auch die Unternehmensnachfolge. Gebe ein Familienunternehmer seine Firma an seine Tochter oder seinen Sohn weiter, komme das beide künftig teuer zu stehen, so die Gegner. «Ein Unternehmer muss den Kaufpreis für seine Unternehmung um bis zu 165 Prozent erhöhen, falls er seinen Nettoerlös aus der Nachfolgeregelung mit der 99%-Initiative im Vergleich zum geltenden Recht gleich hochhalten will», behaupten Economiesuisse und die Vereinigung Swiss Family Business.

Blick rechnet nach

So dramatisch, wie das die Gegner darstellen, wären die finanziellen Folgen der Initiative auf Nachfolgeregelungen aber nicht. Blick hat das Ganze selbst unter die Lupe genommen und anhand eines realen Beispiels von Henrique Schneider, Ökonom und stellvertretender Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV), durchrechnen lassen. Auch der SGV bekämpft die Initiative. Seine Berechnung ist aber deutlich realistischer als jene der Economiesuisse-Studie.

Familienunternehmer R. R.* aus dem Kanton St. Gallen hat dafür unter der Bedingung der Anonymität Einblick in seine Buchhaltung gewährt. R. ist Besitzer eines Handwerksbetriebs mit etwas über einem Dutzend Mitarbeitenden, den er vor knapp zehn Jahren für 1,5 Millionen Franken von seinem Vorgänger übernommen hat. Er geht davon aus, dass er die Firma in einigen Jahren für 2,2 Millionen an seinen Sohn weitergeben wird.

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Im Optimalfall zahlt R. heute gar keine Steuern

Für die 700'000 Franken Gewinn fallen heute keine oder kaum Steuern an – je nach Kanton und konkreten Umständen. In einem ersten Szenario – dem Optimalfall – rechnet SGV-Ökonom Schneider darum mit null Prozent Steuern. In einem zweiten Szenario mit acht Prozent. Dies entspricht laut Schneider ungefähr dem Durchschnitt von Steuern und Abgaben, die bei Firmenverkäufen heute fällig werden.

Im Optimalfall bleibt R. heute der gesamte Erlös. Im Durchschnitt muss er dem Fiskus 56'000 Franken Steuern abliefern.

Mit der Initiative wären es neu 100'000 Franken. In dieser Berechnung ist ein Freibetrag von 100'000 Franken berücksichtigt, für den noch keine 1,5-fache Besteuerung gilt. Die Höhe des Freibetrags ist zwar nicht im Verfassungstext festgelegt, die Initianten haben im Abstimmungskampf jedoch stets diesen Grenzwert genannt.

Neu müsste er 3 bis 16 Prozent mehr verlangen

Im ersten Modell müsste R. nach Annahme der Initiative also 14 Prozent mehr von seinem Erlös dem Staat abgeben. Im konservativeren Modell bleiben R. vom Erlös sieben Prozent weniger als heute. Soll er gleich hoch ausfallen wie vor der Initiative, müsste er die Firma dem Sohn für 16 bzw. 3 Prozent mehr verkaufen.

Für R. ist auch das ein Horrorszenario. «Die Berechnungen von Herrn Schneider bilden den konservativsten Fall ab und schon diese Situation ist für uns dramatisch, weil es unser KMU belastet und den Übergabeprozess massiv erschwert.»

Er gibt zu bedenken, dass der Verkaufspreis nicht dem Marktwert entspreche, sondern es sich um einen Spezialpreis handle im Hinblick auf die innerfamiliäre Nachfolge. «Ich kann mir diesen relativ tiefen Verkaufspreis leisten, weil ich selber im vergangenen Berufsleben immer darauf geachtet habe, dass meine Altersvorsorge nicht zu kurz kommt.» Bei vielen anderen KMU sei das aber nicht der Fall – sie seien auf den Erlös als Altersvorsorge angewiesen. Ausserdem müsse man berücksichtigen, dass auch die Dividenden anderthalbfach besteuert würden.

Juso-Präsidentin sieht Raum für Ausnahmen

R. ist sich angesichts dessen sicher: «Die Initiative wird sicher nicht nur das reichste Prozent treffen, wie das die Juso behauptet. Sie betrifft grosse Teile des Mittelstands, und die Initianten wissen das ganz genau.»

Juso-Präsidentin Ronja Jansen hingegen hält an der 1-Prozent-Aussage fest. Sie gibt zu bedenken, dass bei der Umsetzung genügend Spielraum bestehen würde, sicherzustellen, dass wirklich nur die Reichsten betroffen wären. «Man könnte den Freibetrag erhöhen, wenn Gewinne von mehreren Jahren auf einmal ausgeschüttet werden», sagt sie. Wie bei Grundstückgewinnen müsse eine Rolle spielen, wie lange man eine Firma schon besass.

Doch: «Dass Unternehmer generell von Kapitalgewinnsteuern ausgenommen werden sollen, finde ich nicht. Wenn jemand innert fünf Jahren fünf Millionen Gewinn macht, gehört er auch zu den 1 Prozent.»

*Name der Redaktion bekannt

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