Hitler-Verharmlosung durch BDP-Biedermann
Das Unsägliche breitet sich aus

BDP-Politiker Thomas Keller ist mit seiner Hitler-Verharmlosung Beispiel für einen besorgniserregenden Trend: Systematisch werden die Grenzen des Sagbaren neu gezogen. Ein Essay von BLICK-Politikchefin Sermîn Faki.
Publiziert: 18.07.2018 um 01:15 Uhr
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Aktualisiert: 18.09.2018 um 22:09 Uhr
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BDP-Politiker Thomas Keller verharmloste Adolf Hitler in einem Tweet.
Foto: Facebook
Sermîn Faki
BLICK-Politikchefin Sermîn Faki sagt, warum die Ungeheuerlichkeit des Thurgauer Bauunternehmers ein Alarm-Zeichen unserer Zeit ist.
Foto: Shane Wilkinson

Eine politische Karriere – sollte er denn eine angestrebt haben – kann Thomas Keller (35) abhaken. «In der Person Adolf Hitler sehe auch ich nicht nur den menschenverachtenden bösartigen Tyrannen und Diktator», schrieb der Thurgauer BDP-Politiker am Montagabend auf Twitter. Dies als Reaktion auf einen BLICK-Artikel über einen Tessiner Polizisten, der trotz rassistischer Gesinnung und Verherrlichung von Hitler und Mussolini befördert wurde.

Der Völkermord an sechs Millionen Juden und das Anzetteln eines verheerenden Weltkriegs hielten Keller nicht davon ab zu schreiben, die heutige Geschichtsschreibung habe eine einseitige Perspektive. «So unendlich schlecht kann dieser Mann nicht gewesen sein.»

Ein Biedermann aus unserer Mitte

Die BDP hat sich sofort von Kellers Äusserungen distanziert und seine Kantonalpartei aufgefordert, ihn auszuschliessen. Keller wiederum hielt zuerst an seinen Aussagen fest, später liess er verlauten, der Tweet sei ein Fehler gewesen. Und wundert sich, dass «das eigentlich lapidare Statement» in den Medien prominent aufgegriffen wird.

Ist das eine dem Sommerloch geschuldete Geschichte über einen verirrten Politiker? Nein. Denn der Thurgauer Bauunternehmer Keller ist kein Nazi, kein Hitler-Verherrlicher, kein Rassist, kein Hetzer am Rand, sondern ein Biedermann aus unserer Mitte. Ein befremdlich geschichtsloser Biedermann.

Hitler sieht für sie aus wie Bruno Ganz

Ganz so wie der Grüne Ex-Nationalrat Jonas Fricker (41), der vor einem Jahr Schlagzeilen machte, weil er im Parlament Schlachttransporte mit Deportationen von Juden ins Konzentrationslager verglich. Wohl nicht zufällig gehören beide derselben Generation an. Einer Generation, die den Holocaust vor allem aus Filmen wie «Schindlers Liste» kennt und für die Hitler aussieht wie Bruno Ganz in «Der Untergang». Einer Generation, die in einer Zeit lebt, in der man in Auschwitz Pokémons jagen kann.

Doch fehlendes historisches Bewusstsein ist nur eine Voraussetzung für derart deplatzierte Äusserungen. Keller ist der jüngste Beleg dafür, dass sich die Grenzen des Diskurses verschoben haben.

Längst kein rechtes Pflaster mehr

Seit Jahren tun sich hierzulande vor allem SVP-Mitglieder damit hervor, dass sie Schritt für Schritt den Raum für das, was anständigerweise noch gesagt werden kann, ausweiten. Ob nun IV-Rentner «Sozialschmarotzer» sind, «Kosovaren Schweizer aufschlitzen», einem beim Islam «das Kotzen kommt» oder wenn das Ertrinken eines Asylsuchenden im Rhein mit Genugtuung zur Kenntnis genommen wird.

Der Auschwitz-Vergleich von Fricker und die Hitler-Verharmlosung von Keller zeigen aber auch, dass die Ausweitung des Sagbaren das rechtsnationalistische Lager längst verlassen hat. Erst kürzlich sorgte die linksliberale deutsche Wochenzeitung «Die Zeit» für Entrüstung, als sie die Frage aufwarf, ob man Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten oder aber ertrinken lassen soll.

Die AfD macht es vor

Dass immer mehr Unsägliches gesagt werden kann, ist also kein Schweizer Phänomen. Und man muss dazu nicht mal in die USA schauen. In Deutschland demonstriert die AfD gerade, wie man die etablierten Parteien vor sich hertreibt und sie rhetorisch ins Boot holt.

Die Männer und Frauen um Alexander Gauland und Beatrix von Storch holten zum Beispiel das Wort «Asylindustrie» aus der Mottenkiste – und freuten sich diebisch, als Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder es übernahm.

Und es dann zurücknahm. So wie Fricker nach seinem Auschwitz-Vergleich zurücktrat, so wie Keller nun von einem Fehler spricht und doch auf dem Recht beharrt, alles hinterfragen zu dürfen. Nur: Gesagtes kann nicht zurückgenommen werden. Es bleibt in den Köpfen und wird – selbst widersprochen – schleichend Normalität.

Keine Frage: Nicht alles ist ein Tabu. Eine Gesellschaft soll auch über Unbequemes reden dürfen – sie muss sogar. Doch wer die Grenzen dessen, was debattiert wird, mit «Das wird man wohl noch sagen dürfen» Wort für Wort ausweitet, vergisst naiv oder weiss ganz genau: Worte wirken. Und nicht selten folgen auf Worte Taten. Wohin das führen kann, beweist genau der deutsche Nationalsozialismus.

Hitler-Skandal um BDP-Politiker

Wäre er doch bloss ins Bett gegangen, dürfte sich Thomas Keller (35) denken. Doch anstatt schlafen zu gehen, haut der Thurgauer BDP-Politiker am späten Montagabend auf Twitter nochmals in die Tasten. Und sorgt für einen handfesten Hitler-Skandal!

Der Reihe nach: Am Anfang steht ein BLICK-Beitrag über den verurteilten Polizei-Wachtmeister Edy I.*, der im Tessin mit Hass-Parolen zur Rassendiskriminierung aufrief. Obschon der rechtsextreme Gesetzeshüter Reden von Hitler verherrlichte, wird I. nun zum Oberfeldwebel befördert.

Keller sucht gute Seiten bei Hitler

In den sozialen Medien sorgt dies für rote Köpfe. Nur Keller kann die Aufregung nicht verstehen. Auf den Kommentar eines anderen Twitter-Nutzers schreibt er: «Sorry Kenny, aber in der Person Adolf Hitlers sehe ich nicht nur den menschenverachtenden bösartigen Tyrannen und Diktator.»

Ganz im Gegenteil: Er glaube, die heutige Geschichtsschreibung sei «ziemlich aus einer einseitigen Perspektive. So unendlich schlecht kann dieser Mann nicht gewesen sein». Es sind salbungsvolle Worte, die Keller an die Adresse eines Massenmörders richtet, um sich anschliessend auf die freie Meinungsäusserung zu berufen.

Tweets seien «unglücklich formuliert» gewesen

Als auf Twitter Entsetzen, Unverständnis und Kritik auf Keller einprasseln, untermauert der Bauunternehmer noch einmal seine Ansichten: «Im Grundsatz, finde ich, hat jeder Mensch etwas Gutes. Oder ist das so falsch?!», fragt er uneinsichtig in die Runde.

Als BLICK Keller, der bis vor kurzem Präsident der Thurgauer Jung-BDP war, erstmals mit seinen Aussagen konfrontiert, will dieser diese höchstens «etwas unglücklich formuliert» haben. 

BDP-Präsident Martin Landolt (50) findet hingegen klare Worte: «Seine Aussagen sind absolut jenseits! Wir distanzieren uns in jeglicher Form von den Tweets von Herrn Keller.»

Landolt kündigt an, die Thurgauer BDP-Sektion aufzufordern, Keller aus der Partei anzuschliessen. «Übertrieben», findet das der Betroffene selbst. Und gibt an, sich dagegen wehren zu wollen.

Dem späten Rückzieher folgt eine Entschuldigung

Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) begrüsst das rigorose Vorgehen der BDP-Spitze. «Das Naziregime war menschenverachtend und bösartig – das lässt keinen Spielraum für ein Aber», sagt SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner.

Die Aussagen Kellers seien «bedenklich und gar gefährlich». Gerade Politiker hätten ihre Worte mit Bedacht zu wählen, so Kreutner. Zu dieser Einsicht scheint unterdessen auch Thomas Keller selbst gelangt zu sein. «Ich muss mich dafür entschuldigen. Das geht einfach nicht!», sagt er, als BLICK ihn ein zweites Mal erreicht.

Seinen Tweet habe er «in einer kurzen Phase der Unvernunft» geschrieben, so die Ausrede. Ihr folgt sogleich ein frommer Wunsch: «Ich möchte, dass das alles schnellstmöglich vergessen ist!» 

* Name geändert

Kennt kein Pardon: BDP-Präsident Martin Landolt fordert den Rauswurf von Thomas Keller.
Sein Parteipräsident Martin Landolt distanzierte sich sofort und rief Kellers Kantonalpartei im Thurgau dazu auf, ihn aus der Partei auszuschliessen.
Keystone

Wäre er doch bloss ins Bett gegangen, dürfte sich Thomas Keller (35) denken. Doch anstatt schlafen zu gehen, haut der Thurgauer BDP-Politiker am späten Montagabend auf Twitter nochmals in die Tasten. Und sorgt für einen handfesten Hitler-Skandal!

Der Reihe nach: Am Anfang steht ein BLICK-Beitrag über den verurteilten Polizei-Wachtmeister Edy I.*, der im Tessin mit Hass-Parolen zur Rassendiskriminierung aufrief. Obschon der rechtsextreme Gesetzeshüter Reden von Hitler verherrlichte, wird I. nun zum Oberfeldwebel befördert.

Keller sucht gute Seiten bei Hitler

In den sozialen Medien sorgt dies für rote Köpfe. Nur Keller kann die Aufregung nicht verstehen. Auf den Kommentar eines anderen Twitter-Nutzers schreibt er: «Sorry Kenny, aber in der Person Adolf Hitlers sehe ich nicht nur den menschenverachtenden bösartigen Tyrannen und Diktator.»

Ganz im Gegenteil: Er glaube, die heutige Geschichtsschreibung sei «ziemlich aus einer einseitigen Perspektive. So unendlich schlecht kann dieser Mann nicht gewesen sein». Es sind salbungsvolle Worte, die Keller an die Adresse eines Massenmörders richtet, um sich anschliessend auf die freie Meinungsäusserung zu berufen.

Tweets seien «unglücklich formuliert» gewesen

Als auf Twitter Entsetzen, Unverständnis und Kritik auf Keller einprasseln, untermauert der Bauunternehmer noch einmal seine Ansichten: «Im Grundsatz, finde ich, hat jeder Mensch etwas Gutes. Oder ist das so falsch?!», fragt er uneinsichtig in die Runde.

Als BLICK Keller, der bis vor kurzem Präsident der Thurgauer Jung-BDP war, erstmals mit seinen Aussagen konfrontiert, will dieser diese höchstens «etwas unglücklich formuliert» haben. 

BDP-Präsident Martin Landolt (50) findet hingegen klare Worte: «Seine Aussagen sind absolut jenseits! Wir distanzieren uns in jeglicher Form von den Tweets von Herrn Keller.»

Landolt kündigt an, die Thurgauer BDP-Sektion aufzufordern, Keller aus der Partei anzuschliessen. «Übertrieben», findet das der Betroffene selbst. Und gibt an, sich dagegen wehren zu wollen.

Dem späten Rückzieher folgt eine Entschuldigung

Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) begrüsst das rigorose Vorgehen der BDP-Spitze. «Das Naziregime war menschenverachtend und bösartig – das lässt keinen Spielraum für ein Aber», sagt SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner.

Die Aussagen Kellers seien «bedenklich und gar gefährlich». Gerade Politiker hätten ihre Worte mit Bedacht zu wählen, so Kreutner. Zu dieser Einsicht scheint unterdessen auch Thomas Keller selbst gelangt zu sein. «Ich muss mich dafür entschuldigen. Das geht einfach nicht!», sagt er, als BLICK ihn ein zweites Mal erreicht.

Seinen Tweet habe er «in einer kurzen Phase der Unvernunft» geschrieben, so die Ausrede. Ihr folgt sogleich ein frommer Wunsch: «Ich möchte, dass das alles schnellstmöglich vergessen ist!» 

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