Der Umgangston in der Schweiz wird gehässiger – vor allem in der Anonymität des Internets. Doch seit einiger Zeit attackieren «Hater» ihre Opfer auch unter vollem Namen. SRF-Moderatorin Steffi Buchli stellte einen Mann daraufhin an den Facebook-Pranger – inklusive Telefonnummer.
Noch öfter als Promis werden indes Politikerinnen und Politiker angefeindet – im Wahlkampf noch intensiver als sonst. Diese Erfahrung macht aktuell SP-Co-Generalsekretärin Flavia Wasserfallen.
In einem offenen Brief an FDP-Präsident Philipp Müller kritisierte die Bernerin etwa: «In durchschaubarer Manier hauen Sie auf die ‹Roten› ein und schweigen nach rechts.» Sie forderte ihn mit scharfen Worten auf, Position zu wichtigen Themen zu beziehen (Blick.ch berichtete).
Müller selbst hat den Brief (noch) nicht direkt beantwortet, dafür gabs Häme von rechten Wählern. Martin S. schreibt in einem Mail, Wasserfallen sei «eine Politikerin, die sich mit Body und Grinsen nach oben schleimt».
In der Folge reiht sich eine Beschimpfung an die nächste Beleidigung – in verhältnismässig gepflegtes Deutsch verpackt. Zu viel für die Sozialdemokratin. Sie stellt das fiese Mail auf Facebook und veröffentlicht den Namen und die Email-Adresse des rechten Ideologen.
«Ich werde das künftig nicht generell so handhaben, aber so etwas geht einfach zu weit», sagt Wasserfallen. Sie scheue keine politische Debatte, möge sie auch noch so hart sein. «Ein Mindestmass an Anstand müssen wir in einer offenen Gesellschaft aber erwarten können, sonst haben wir ein grosses Problem.»
Die 36-jährige sagt, sie zeige damit nur die Spitze des Eisbergs: «Ich stelle fest, dass in den letzten Monaten die Hemmschwelle gesunken ist. Rassistische und beleidigende Reaktionen auch gegenüber Politikerinnen und Politikern haben massiv zugenommen.»
Dabei ist das Problem nicht auf das linke Parteispektrum begrenzt. SVP-Nationalrätin Natalie Rickli etwa ärgert sich genauso über geschmacklose Kommentare. Die bestgewählte Nationalrätin der Schweiz erreicht mit ihren Kommentaren rund 20'000 «Fans».
Manchen von ihnen brennen nach Posts der populären Politikerin alle Sicherungen durch. Kritik sei selbstverständlich in Ordnung – auch auf ihrer Seite, schreibt sie. «Was in der letzten Zeit aber im Internet generell und auf meiner Seite abgeht, ist doch nicht mehr normal!», stellt Rickli klar.
Die Zürcherin hob auch schon üble persönliche Beleidigungen («dumme Nutte» und übler) eines Facebook-Nutzers hervor. Beleidigungen, Beschimpfungen und Drohungen seien an der Tagesordnung. Das Internet sei trotz Meinungsfreiheit kein rechtsfreier Raum, mahnt sie. Auch «rechtsextreme oder linksextreme Kommentare» seien auf ihrer Seite unerwünscht.
Die Hoffnungen der beiden Politikerinnen dürften sich als Utopie herausstellen. In der heissen Phase des Wahlkampfs dürfte noch so mancher mit Schaum vor dem Mund in die Tasten hauen.