Die Vorwürfe sind nicht neu: Sicherheitsleute in Asylzentren sollen Asylbewerber systematisch schlagen, einsperren und beleidigen. In einem knapp 30-seitigen Bericht dokumentiert die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nun 14 Fälle von Misshandlungen von Asylsuchenden. Die Vorfälle ereigneten sich zwischen Januar 2020 und diesem April in den Asylzentren Basel, Giffers FR, Boudry NE, Altstätten SG und Vallorbe VD.
Im Bericht wird Mitarbeitenden der privaten Sicherheitsfirmen Securitas und Protectas sowie anderen Fachpersonen vorgeworfen, Asylsuchende «körperlich verletzt, misshandelt und bestraft» zu haben. Zudem seien Asylsuchende – insbesondere solche aus Nordafrika – rassistisch angegangen worden. Asylsuchende berichteten, dass sie zur Bestrafung in Metallcontainer gesperrt wurden und ihnen medizinische Hilfe verweigert wurde. Sechs der 14 betroffenen Asylsuchenden mussten im Spital behandelt werden.
Amnesty hat für den Bericht 32 Personen interviewt, darunter 14 Misshandlungsopfer und mehrere Sicherheitsangestellte, Rechtsvertreterinnen, Betreuer und Sozialpädagogen. Ebenfalls wertete die Organisation ärztliche Berichte und Strafanzeigen aus.
Umstrittener Folter-Vorwurf
«Die für diese Recherche gesammelten Fälle und Informationen deuten auf schweren Missbrauch hin, der in einzelnen Fällen den Tatbestand der Folter oder anderer Misshandlungen nach internationalem Recht erfüllen und die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz verletzen könnten», schreibt Amnesty.
Beat Gerber, Sprecher von Amnesty, sagt auf Nachfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA dazu: «Eine unabhängige Untersuchung muss zeigen, ob der Tatbestand der Folter und anderer Misshandlungen in einzelnen Fällen erreicht wird. Die Vorfälle haben ein Ausmass und eine Tragweite, dass wir auch diese Frage stellen mussten und auch das Staatssekretariat für Migration SEM muss sich dieser Frage stellen.»
Bund wehrt sich
Beim Bund wehrt man sich gegen diese Vorwürfe. «Dies würde bedeuten, dass Asylsuchenden vorsätzlich Schmerzen oder Leid zugefügt werden, um Aussagen zu erpressen, sie einzuschüchtern oder zu bestrafen», schreibt das Staatssekretariat für Migration (SEM). Damit stelle Amnesty das SEM als staatliche Behörde «auf eine Stufe mit Unrechtsregimes oder Militärdiktaturen». Dies habe nichts mit der Realität in den Bundesasylzentren zu tun.
Dass Amnesty dem SEM keine näheren Informationen zu den im Bericht erwähnten Fällen liefere, erschwere zudem einen «konstruktiven Dialog und die Aufarbeitung möglicher Fehler», hält das SEM in seiner Stellungnahme fest.
«Unsere Quellen haben uns um Anonymität gebeten und das respektieren wir selbstverständlich. Entsprechend können wir nicht jede Information mit dem SEM teilen», entgegnet Amnesty-Sprecher Beat Gerber. «Wir waren mit dem Staatssekretariat aber in engem Kontakt über mehrere Monate.» Der Bericht sei also keine Überraschung. Es sei die Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass sich diese Vorfälle nicht wiederholten.
Frühere Fälle werden untersucht
Bereits vor der Veröffentlichung des Amnesty-Berichts berichteten Medien wie die «Rundschau» des Schweizer Fernsehens und die Wochenzeitung «WoZ» über Vorfälle in den Asylzentren. SEM-Direktor Mario Gattiker (64) gab daraufhin bekannt, dass alt Bundesrichter Niklaus Oberholzer (67) mit einer externen Untersuchung beauftragt wurde. Er soll die erhobenen Vorwürfe umfassend abklären und einen Bericht erstellen.
Das SEM prüft ausserdem die Schaffung einer Beschwerdestelle für Asylsuchende ausserhalb der Strukturen des Staatssekretariats. (SDA/til)