Im August titelte SonntagsBlick: «IV spart auf Kosten der Sozialhilfe». Die Stellungnahme des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV), das seit sieben Jahren Gesundheitsminister Alain Berset (47) unterstellt ist: Es gebe keine Belege dafür, dass die starke Zunahme der Anzahl Sozialhilfebezüger mit der Abnahme der Anzahl IV-Rentner zusammenhänge.
Drei Monate später machte SonntagsBlick publik, dass einzelne IV-Ärzte mit Gutachten Millionen verdienen – und dass viele von diesen Grossverdienern bekannt dafür seien, fast jeden IV-Antragsteller für gesund zu erklären und eine Rente zu verweigern. Das BSV zeigte sich auch davon unbeeindruckt: «Mit einem prozentualen Anteil bestimmter Arbeitsunfähigkeitsgrade kann sachlich fundiert keine qualitative Beurteilung einer Gutachtertätigkeit vorgenommen werden», so die Behörde.
Der Sozialdemokrat Berset verweigerte sich zudem standhaft den Fragen von SonntagsBlick. Alles in Ordnung, es gibt keinen Gesprächsbedarf, lautete der Tenor des Innendepartements.
Ganz anders die Reaktionen bei der Leserschaft: Die Artikel-Serie löste ein riesiges Echo aus. Hunderte Kommentare sowie zahlreiche E-Mails, Briefe und Telefonate erreichten die Redaktion. Der Tenor hier: Auch ich bin Opfer geworden eines einseitigen, unprofessionell arbeitenden IV-Gutachters.
Aus den Rückmeldungen ergaben sich mehrere Artikel im BLICK. Auch andere Zeitungen griffen die Problematik auf.
Plötzlich bewegt sich was
Zudem reichten Parlamentarier zahlreiche Vorstösse zum Thema ein: «Fehlentwicklungen im IV-Gutachterwesen korrigieren», fordert etwa Flavia Wasserfallen (SP, BE). Eine Interpellation von Katharina Prelicz-Huber (GPS, ZH) trägt den Namen «Hoch problematische IV-Gutachten». Und Lilian Studer (EVP, AG) verlangt «Kriterien für die Anerkennung von Gutachten».
Und siehe da: Plötzlich sieht auch Alain Berset Handlungsbedarf. Diese Woche teilte sein Departement mit, der Gesundheitsminister wolle Klarheit über die Praxis bei der Erteilung von IV-Renten. Er habe deshalb eine interne Untersuchung gegen die Aufsichtstätigkeit des BSV veranlasst. Es gehe um die Vorwürfe, dass sich die IV-Stellen auf «teilweise fragwürdige medizinische Gutachten» stützten. Berset habe den Eindruck, dass man in diesem Bereich genauer hinschauen müsse.
Zudem bestehe der Verdacht, dass die kantonalen IV-Stellen durch Sparvorgaben unter Druck gesetzt werden, möglichst wenige neue Renten zu gewähren. Das BSV lege für jede kantonale IV-Stelle jährlich ein Sparziel fest. Bei den meisten laute die Vorgabe «halten oder senken» der Neurentenquote.
Dies führe dazu, dass die IV nicht mehr überall offen prüfe, auf welche Leistungen ein Versicherter Anspruch habe – und die Gleichbehandlung der Versicherten sei gefährdet.