«Freifahrtschein zur Totalüberwachung»
Widerstand gegen Berner Polizeigesetz reisst nicht ab

Die Berner Regierung hat per 1. August die umfassende Erfassung von Fahrzeugkennzeichen eingeführt. Aufhalten liess sie sich auch von einer Beschwerde vor Bundesgericht nicht.
Publiziert: 03.08.2024 um 11:51 Uhr
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Aktualisiert: 03.08.2024 um 12:05 Uhr
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Neu werden Fahrzeugkennzeichen an bestimmten Orten erfasst und automatisch mit den Fahndungssystemen abgeglichen.
Foto: Keystone
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Daniel BallmerRedaktor Politik

Der Widerstand gegen das neue Berner Polizeigesetz, das per 1. August in Kraft getreten ist, reisst nicht ab. Gerade der Piratenpartei Schweiz ist es ein Dorn im Auge. «Der Bevölkerung wird ein Gesetz gegen Mord und Totschlag verkauft, eingesetzt wird es dann wegen Bagatellen», klagt Parteipräsident Jorgo Ananiadis. «Und gleichzeitig werden wir durch den Staat auf Schritt und Tritt überwacht.»

Die Berner Regierung aber beharrt auf der raschen Einführung – und das, obwohl vor Bundesgericht eine Beschwerde gegen das Gesetz hängig ist. Wegen des technischen Wandels und Kriminalitätsentwicklung müssten die polizeilichen Massnahmen den aktuellen Herausforderungen angepasst werden, argumentiert die Kantonsregierung.

«Unverzichtbares Mittel für eine erfolgreiche Polizeiarbeit»

Neu werden Fahrzeugkennzeichen an bestimmten Orten erfasst und automatisch mit den Fahndungssystemen abgeglichen. «Das Instrument gehört heute zu den unverzichtbaren Mitteln für eine erfolgreiche Polizeiarbeit, namentlich bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität und bei Entführungen», so der Regierungsrat. Die erhobenen Daten sollen neu bis zu 60 Tage lang aufbewahrt und für Ermittlungen verwendet werden können.

Die Frist war nicht nur im Berner Kantonsparlament umstritten. Der Verein Demokratische Juristinnen und Juristen Bern hatte im Juni beim Bundesgericht Beschwerde gegen die Teilrevision des Polizeigesetzes eingereicht und gerade die Bestimmungen zur automatischen Fahrzeugfahndung kritisiert.

«Um die Rechte der betroffenen Personen zu wahren, werden hohe Anforderungen gestellt, wann eine Auswertung der Daten zulässig ist», betont dagegen die Berner Regierung. Zudem seien Auskunftsrechte und eine unabhängige Kontrollinstanz vorgesehen. Auch die kantonale Datenschutzaufsicht anerkenne, dass der Gesetzgeber hier angemessene Vorkehrungen getroffen habe.

«Massiver Eingriff in Grundrechte der Bevölkerung»

Das sieht die Piratenpartei anders. Die Berner Regierung verkaufe das Gesetz mit der Bekämpfung organisierter Kriminalität und bei Entführungen. Bei genauerer Betrachtung seien diese Argumente äusserst zweifelhaft, kritisiert die Partei. Denn ein Blick in die offizielle Kriminalstatistik des Kantons zeige, dass in den vergangenen zehn Jahren nur vier Fälle der schweren Freiheitsberaubung und einzig eine Geiselnahme festgestellt worden seien.

Dennoch würden neu täglich Hunderttausende Kennzeichen erfasst und gespeichert. Das bedeute einen «massiven Eingriff in die Grundrechte der Bevölkerung» – gerade, weil die Polizei bisher angegeben habe, dass Fahndungserfolge grösstenteils nur bei Fahrens ohne Versicherungsschutz oder bei Kontrollschilddiebstahl erzielt worden seien.

«Das Gesetz ist ein Freifahrtschein zur Totalüberwachung des Strassenverkehrs», sagt Parteipräsident Ananiadis. «Dass das Parlament eine solch umfassende Pauschalfreigabe durchwinkt, ist besorgniserregend für die gesamte Berner Bevölkerung.»

Von all der Kritik zeigt sich die Berner Regierung jedoch unbeeindruckt. Sie hat die Gesetzesänderung wie geplant per August in Kraft gesetzt. Die beim Bundesgericht eingereichte Beschwerde stand dem nicht im Weg.

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