Pilotprojekt in St. Gallen
Polizei setzt bei Verbrecherjagd auf Superbrains

Die St. Galler Polizeien setzen im Kampf gegen Kriminelle neu auf Menschen mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten, Gesichter wiederzuerkennen. Super-Recognizer erfassen Gesichter teils zuverlässiger als eine Software. Sechs von ihnen arbeiten bei den St. Galler Korps.
Publiziert: 15.07.2024 um 11:09 Uhr
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Aktualisiert: 15.07.2024 um 12:33 Uhr
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Sie erkennen Gesichter besser als jede Software: Das St. Galler Polizeikorps setzt auf Super-Recognizer.
Foto: Keystone
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SDASchweizerische Depeschenagentur

Diesen Mann hat er bereits früher einmal gesehen, ist ein Polizist der Stadtpolizei St. Gallen bei einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt überzeugt. Noch läuft der Einsatz und der Polizist ist sich nicht sicher, weshalb ihm der Mann bekannt ist.

Später stellt sich heraus, dass der Stadtpolizist einen Straftäter erkannt hat, den er bei früheren Ermittlungen auf Bildern von Überwachungskameras gesehen hatte. Geholfen haben ihm dabei seine Fähigkeiten als Super-Recognizer.

«Super-Recognizer sind Menschen, die ausgeprägte Fähigkeiten haben, Gesichter wiederzuerkennen und sich Gesichter besonders gut merken können», sagte Stefan Helfenberger, Leiter Ermittlungsunterstützung bei der Kantonspolizei St. Gallen, der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Die Wissenschaft gehe davon aus, dass nur zwei Prozent der Menschen diese Fähigkeiten haben.

Ist der mutmassliche Täter schon polizeibekannt?

Helfenberger leitet ein Pilotprojekt der Kantons- und Stadtpolizei St. Gallen. Dabei testen die Polizeien den Einsatz von Super-Recognizern. Sechs Polizisten können sich gemäss wissenschaftlichen Tests der Universität Lausanne Gesichter aussergewöhnlich gut einprägen und sie wiedererkennen. Somit sind sie in der Lage – im Prinzip wie eine Gesichtserkennungssoftware – verschiedene Gesichter miteinander zu vergleichen und Aussagen darüber zu treffen, ob es sich um die gleichen Personen handelt.

Stefan Helfenberger nannte als aktuellen Schwerpunkt für die Super-Recognizer die Bildfahndung. Konkret: Die Polizei verfügt beispielsweise über Überwachungsbilder von verschiedenen Raubüberfällen. Super-Recognizer schauen sich die Bilder an, vergleichen sie und können anhand ihrer Fähigkeiten eine Einschätzung abgeben, ob es sich um dieselben Täter handelt.

Oder sie vergleichen die Überwachungsbilder mit Fahndungsbildern und schauen, ob sie identische Personen erkennen. Je nachdem sind die Personen auf den Fahndungsbildern bereits namentlich bekannt oder nicht. Diese Erkenntnisse fliessen in die weiteren Ermittlungen ein.

Sie achten nicht nur auf Gesichter

In der eingangs erwähnten Episode ist dem Super-Recognizer der Stadtpolizei St. Gallen, der anonym bleiben möchte, primär das Gesicht des Mannes bekannt vorgekommen. Auch wenn Super-Recognizer primär auf Gesichter spezialisiert sind und wissenschaftliche Tests ausschliesslich die Fähigkeiten zur Wiedererkennung von Gesichtern eruieren, können auch andere Merkmale Hinweise geben.

Im oben genannten Beispiel waren auf weiteren Aufnahmen die Hände des Täters zu sehen. Auf diesen Bildern sei ihm aufgefallen, dass der Täter bei einem Daumen ein spezielles Nagelbett hat. Auf dem Polizeiposten sah sich der Super-Recognizer dessen Hände an. Er erkannte das Nagelbett wieder. «Da war ich mir sicher, vor mir war die Person, die ich auf den Bildern der Überwachungskamera gesehen habe.» Ermittlungen hätten seinen Verdacht bestätigt und dem Mann konnten mehrere Delikte nachgewiesen werden.

Der Super-Recognizer der Stadtpolizei achtet nicht nur auf Gesichter. «Mir ist aufgefallen, dass ich Körperhaltungen, den Gang oder die Gestik einer Person gut wiedererkenne», führte er weiter aus. Wenn er Bilder am Computer vergleiche, genügten wenige Sekunden, um zu entscheiden, ob er ein Gesicht bereits einmal gesehen habe. Der Super-Recognizer muss aber eine Person bewusst wahrgenommen haben. «Ich kann nicht am Samstag durch die Stadt St. Gallen laufen und erkenne im Anschluss jedes Gesicht wieder.»

Pilotprojekt bis Ende Jahr

Die Super-Recognizer bei der Kantons- und Stadtpolizei mussten ihre Fähigkeiten in einem mehrstufigen wissenschaftlichen Test unter Beweis stellen. In einem Test merkten sie sich zunächst unbekannte Gesichter.

Später sollten sie die Gesichter unter erschwerten Bedingungen wiedererkennen: Veränderte Gesichtsausdrücke, andere Blickwinkel oder schlechtere Bildqualität. Die Polizisten mussten entscheiden, welches von drei gezeigten Gesichtern sie sich bereits in der Lernphase gemerkt hatten. In einem anderen Test verglichen sie Bilder von jungen Erwachsenen und Personen mittleren Alters und mussten angeben, auf welchen Bildern dieselbe Person zu sehen ist.

Durchgeführt hat die Tests die Neurowissenschaftlerin Meike Ramon. Ramon ist Professorin an der Universität Lausanne und eine führende Expertin auf dem Gebiet der Super-Recognizer. Vom Nutzen dieser Fähigkeiten für die Polizei ist sie überzeugt. Pauschale Aussagen, ob eine Gesichtserkennungssoftware oder ein Super-Recognizer Gesichter zuverlässiger erkenne, seien zwar nicht möglich. Aber: «Unsere Forschung zeigt, dass es Personen gibt, die mit nur wenig Bildmaterial, trotz schlechter Bildqualität und alterungsbedingten Veränderungen die Identität unbekannter Personen so erschliessen können, wie es Algorithmen nicht schaffen.»

Das Pilotprojekt läuft voraussichtlich bis Ende Jahr. Dann wollen Kantons- und Stadtpolizei entscheiden, ob die Super-Recognizer zum festen Bestandteil der Polizeiarbeit werden und ob diese in weiteren Bereichen eingesetzt werden.

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