Mit einem Motorschaden trieb vor sechzig Jahren der Massengutfrachter Turicum südlich von Madagaskar im offenen Meer. Am Heck die Schweizer Flagge. Das Hochseeschiff wurde von einem Schlepper nach Kwinana, Australien, gezogen. Später wurde das Schiff mehrmals verkauft und umbenannt, bis es 2017 in Gadani, Pakistan, abgewrackt wurde.
Im Jahr 2012 wurde ein weiteres Schiff namens Turicum – lateinisch für Zürich – gebaut, das bis heute unter schweizerischer Flagge fährt. Es ist eines von 13 Hochseeschiffen, die noch im nationalen Schiffsregister erfasst sind.
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Das Kuriose dabei: Die Turicum-Schiffe – alt und neu – haben nie einen Hafen in der Schweiz gesehen, obwohl auf ihnen allen der Heimathafen «Basel» angeschrieben ist. Freilich, das Binnenland hat keinen direkten Anschluss zum Meer. Dennoch leistete sich die Eidgenossenschaft über Jahrzehnte eine der grössten Hochseeflotten der Welt. Zum Höhepunkt im Jahr 2016 fuhren 49 Schiffe unter schweizerischer Flagge.
Doch das ist lange her, derzeit sind noch 13 Schweizer Hochseeschiffe registriert. Die alte Turicum und ihre Historie bis zum Abwracken stehen symbolisch für den Auf- und Abstieg der Schweiz als Hochseenation.
Gefahr für Handelsrouten
Auslöser für die grosse Flotte der Schweiz war der Zweite Weltkrieg. Als neutraler und von Land umschlossener Staat ist das Land seit jeher auf Importe angewiesen. Die Bevölkerung musste mit lebenswichtigen Gütern wie Nahrungsmitteln, Medikamenten und Rohstoffen versorgt werden. Doch der Krieg bedrohte die internationalen Handelsrouten.
Der Bundesrat sah sich 1941 deshalb gezwungen, eine Schweizer Handelsflotte zu schaffen. Ziel war es, über ausreichend Frachtkapazität zu verfügen, um in Krisenzeiten die Landesversorgung auf dem Seeweg zu sichern. Das Landesversorgungsgesetz erlaubte es dem Land, im Notfall auf unter schweizerischer Flagge fahrende Schiffe zugreifen zu können.
Nach dem Krieg wurde die Not geringer und der Bund verkaufte seine Schiffe, förderte die Hochseeflotte aber weiterhin mit Darlehen, später mit Bürgschaften. Ein Sammelkredit von 250 Millionen Franken wurde bis Ende 1980 voll beansprucht. Mit dem Geld wurde die Handelsflotte modernisiert und die Mindesttonnage von anfangs 175’000 Tonnen auf 300’000 Tonnen und schliesslich auf bis zu eine halbe Million Tonnen erhöht.
Bis es in den 1990ern im Mittleren Osten zum Golfkrieg kam – wieder eine Krise für Schweizer Schiffe. Das Muster war dasselbe: Nationale Flotten wurden wichtiger, weil die Handelsrouten gefährdet waren. Viele Reedereien mieden den Suezkanal, um der Krisenregion fernzubleiben. Schiffe wurden knapp in Europa. Hinzu kam die Globalisierung. Und das neue Mantra in den Fabriken hiess «Just in Time»: Materialien kommen je nach Produktionsbedarf laufend herein und werden subito zu Endprodukten verarbeitet und ausgeliefert. Die Lieferketten auf dem Seeweg waren gefordert. Unterbrüche bedeuteten massive Probleme in den Herstellungsprozessen.
Goldgräberstimmung unter den Reedereien
Der Notstand erreichte schliesslich das Bundeshaus. Die Politik erkannte den freien Warenhandel als Schlüsselfaktor für die Schweizer Wirtschaft. Dafür brauchte es mehr Schiffe. Weil aber auch die Schiffspreise stiegen, machte der Bund einen Rahmenkredit von 600 Millionen Franken locker. Und löste damit eine Goldgräberstimmung unter den Reedereien aus. Ab dem Jahr 2007 wurde die Schweizer Hochseeflotte sukzessive erweitert. Ein zusätzlicher Bürgschaftskredit im Umfang von 500 Millionen Franken wurde gewährt. Der Rahmenkredit wuchs in der Summe auf 1,1 Milliarden Franken an.
Kaum ein Jahr später brach eine internationale Schifffahrtskrise aus – und die Schweizer Reedereien kamen in Schwierigkeiten. 2017 musste der Bund für 13 von 36 Schiffen Bürgschaftsverpflichtungen gegenüber finanzierenden Banken wahrnehmen. Die Kosten: rund 200 Millionen Franken.
Das war der Anfang vom Ende der Hochseenation Schweiz. Weder das Verständnis der Politik noch der Bürger reichte für die finanziellen Abenteuer auf hoher See. 2016 entschied der Bund, keine neuen Kreditbürgschaften mehr zu sprechen. Bis 2032 laufen die letzten bestehenden Bürgschaften aus. Das Ergebnis: Die Zahl der Schweizer Schiffe nahm zuletzt steil ab.
Bund dreht den Geldhahn zu
Vier Reedereien gaben im Verlauf der vergangenen sieben Jahre ganz auf. Mit den Bürgschaften und den damit verbundenen tiefen Kreditzinsen verloren die Schweizer Reeder ihren Standortvorteil. «Wie es nun weitergeht, ist offen», sagt der Chef der Reederei Zürich AG, Andriu Bonnevie-Svendsen, im Interview mit der «Handelszeitung». Seine Branche hatte in der Schweiz zuletzt auf die Einführung einer Tonnagesteuer gehofft, bei der Reedereien nicht nach ihrem Gewinn, sondern nach der Grösse ihrer Schiffe besteuert werden. Doch das Parlament lehnte dies im Frühling ab. Und das, obwohl es in den meisten europäischen Ländern eine solche Steuer gibt.
Reedereien droht das Aus
Für Schiffsbetreiber wie die Reederei Zürich mit insgesamt sechs Schiffen unterm Schweizer Kreuz stellt sich nun die Frage, ob das Unternehmen noch im Land bleiben kann. Die letzte Bürgschaft der Reederei Zürich läuft 2031 aus, die erste bereits 2027.
Bonnevie-Svendsen prüft die Optionen: Abwandern nach Grossbritannien oder Zypern – um von der Tonnagesteuer zu profitieren, müsste der Hauptsitz verlegt werden. Oder allenfalls Drittinvestoren an Bord holen, die sich an einem Schiff beteiligen, um die finanzielle Last zu reduzieren. Gelingt das nicht, könnte es das Aus für die Turicum und die fünf anderen Schiffe im Bestand sein. Die Schweizer Hochseeflotte dürfte schon bald Geschichte sein. Aber eine gute.