Er will 100 Tage schweigen – doch jetzt kommt Ignazio Cassis (56) bereits vor Ende der selbstauferlegten Schonfrist in Bedrängnis. Wegen der aktuell angespannten Stimmung mit der EU griff SP-Parteipräsident Christian Levrat (47) den FDP-Mann frontal an. «Cassis muss aus seiner Praktikantenrolle rauskommen», giftelte Levrat in der «Sonntagszeitung».
Der Tessiner müsse Klarheit schaffen und schnell mit der EU neue Verhandlungen über die institutionellen Fragen aufnehmen, so Levrat.
Zur Erinnerung: Brüssel gibt der Schweizer Börse die sogenannte Äquivalenzanerkennung nur befristet und macht damit Druck auf die Schweiz in Sachen Rahmenabkommen (BLICK berichtete). Doch die Vermischung der technischen und politischen Dossiers gleiche einer Erpressung durch die EU, so Kritiker.
FDP-Müller bezeichnet Bundesrat als Gänseschar
Konkret wirft Levrat Cassis vor, dass das Treffen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am 23. November schlecht organisiert gewesen sei. Cassis hätte Juncker klar zu verstehen gaben müssen, dass beim Rahmenabkommen für den Bundesrat kein fixer Zeitplan in infrage komme.
Doch statt Junker reinen Wein einzuschenken, hat dieser erst im Nachhinein richtiggestellt, dass er überhaupt nicht daran denke, das Abkommen bis im Frühling 2018 abzuschliessen. Konsequenz in Brüssel: Irritationen und besagte befristete Börsenäquivalenz-Anerkennung.
«Eine Gänseschar, die vor sich hinschnattert»
Wenn der Chef schweigt, sprechen halt seine Parteifreunde: «Besser wäre es, wenn all die Hobby-Aussenpolitiker ihren Mund halten», sagt FDP-Ständerat Philipp Müller im «Tages-Anzeiger». Levrat versuche jetzt einzig innenpolitisch Kapital aus der Situation mit Brüssel zu schlagen. Müller greift auch den Gesamtbundesrat an. «Solange sich der Bundesrat nicht einig wird, ist Juncker im Vorteil.» Er schaffe es, für 27 EU-Staaten zu sprechen, «während in der Schweiz eine ganze Gänseschar vor sich hinschnattert, inklusive wir Politiker», so Müller.
Damit übt Müller auch Kritik an seiner Parteipräsidentin Petra Gössi (41). Ihrer Meinung nach sei bei Verhandlungen mit der EU das Ende der Guillotine-Klausel das Ziel. «Niemand kann allen Ernstes glauben, dass Brüssel darauf eingehen wird», sagt Müller. (vfc)