Dicke Post aus Strassburg: Die Schweiz verstösst mit ihrer Gesetzgebung zur Witwerrente gegen das Diskriminierungsverbot. Dies hat die grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) entschieden.
Konkret ging es um einen Witwer aus dem Kanton Appenzell-Ausserrhoden, der nach Erreichen der Volljährigkeit der jüngeren Tochter keine Rente mehr erhielt. Wäre er eine Frau gewesen, hätte er die Rente weiterhin bekommen.
Schweiz hatte Rekurs eingelegt
Die grosse Kammer hält in ihrem am Dienstag veröffentlichten Urteil fest, dass der Witwer sich zur Sicherung seiner Existenzgrundlage in der gleichen Situation befand, wie viele Witwen nach dem Erreichen der Volljährigkeit des jüngsten Kindes. Dennoch sei er anders behandelt worden, womit in Verbindung mit dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eine Diskriminierung vorliege.
Der Fall wurde auf Antrag der Schweiz von der grossen Kammer und damit der zweiten Instanz des EGMR im Juni 2021 verhandelt. Diese bestätigt in ihrem am Dienstag veröffentlichten Urteil den Entscheid der kleinen Kammer aus dem Sommer 2020.
Mehrkosten von 12 Millionen Franken im Jahr
Das wird teuer für den Bund: Er muss dem Kläger – und anderen Witwern, die gegen die Einstellung der Rente Einspruch erhoben hatten – ab jetzt die Witwerrente weiterzahlen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen bestätigt gegenüber dem «Tages-Anzeiger», die Ausgleichskassen entsprechend anzuweisen. Das Amt schätzt, dass dies die AHV jährlich zwölf Millionen Franken kosten wird.
Unterdessen hat sich das Schweizer Parlament daran gemacht, die bisherige Gesetzgebung zu ändern. So soll die heutige Ungleichbehandlung von Witwen und Witwern beseitigt werden. (SDA/sf)