EU knöpft sich Ausschaffungs-Initiative vor
Schweiz soll EU-Bürger nicht mehr abschieben dürfen

Der Schweizer Lohnschutz steht einer Einigung mit Brüssel im Weg. Doch nun zeigt sich: Es gibt noch einen viel grösseren Stolperstein. Ein Rahmenabkommen würde die Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative rückgängig machen.
Publiziert: 16.08.2018 um 11:51 Uhr
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Aktualisiert: 27.10.2018 um 23:10 Uhr
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In Bundersbern ist der Teufel los: Nachdem Gewerkschaftsboss Paul Rechsteiner sich weigerte, mit Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann über die flankierenden Massnahmen zu verhandeln, steht das Rahmenabkommen mit der EU vor dem Aus.
Foto: THOMAS HODEL
Pascal Tischhauser, Sermîn Faki

An seiner ersten Sitzung nach den Sommerferien hat der Bundesrat gestern die jüngsten Entwicklungen rund um das Rahmenabkommen mit der EU besprochen. Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (66) habe über den Stand der Diskussionen mit den Sozialpartnern und Kantonen informiert, so Bundesratssprecher André Simonazzi (50). Im Klartext: Nach dem Eklat mit den Gewerkschaften, die den Verhandlungstisch verlassen haben, gab es eine zünftige Chropfleerete.

Doch der Streit rund um den Schutz der Schweizer Löhne ist längst nicht der einzige Stolperstein in den Verhandlungen mit Brüssel. Diplomatenkreise sprechen von einem «ganzen Rattenschwanz», der hinten nachkomme.

Keine Ausschaffung von EU-Bürgern mehr

Laut Verhandlungskreisen besteht Brüssel darauf, dass die Schweiz die Unionsbürger-Richtlinie übernimmt. Diese geht noch weiter als die Personenfreizügigkeit, die wir mit der EU haben. Sie würde beispielsweise dazu führen, dass EU-Bürger einfacher und schneller Schweizer Sozialhilfe erhalten.

Und wie BLICK-Recherchen zeigen, kommt es noch dicker: Die Richtlinie steht im Konflikt mit einem Volksentscheid: dem Ja zur Ausschaffungs-Initiative, dank dem die Schweiz kriminelle Ausländer bei schweren Straftaten ausweisen kann. Das ist bei EU-Bürgern schon heute schwierig, weil die Gerichte einen Spielraum haben, ob sie die Initiative oder die Personenfreizügigkeit höher gewichten.

Doch die Unionsbürger-Richtlinie stünde dem Schweizer Gesetz klar entgegen. Neu könnten verurteilte EU-Bürger nur bei «zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit» ausgeschafft werden, die zudem von den Mitgliedstaaten festgelegt werden müssen. Das heisst: praktisch keiner mehr.

Darauf angesprochen, gibt sich der Bund wortkarg. Das Staatssekretariat für Migration teilte lediglich mit, die Verhandlungen über ein institutionelles Rahmen seien vorangeschritten, aber es bestünden weiter Divergenzen.

Brüssel stellt weitere Bedingungen

Der Konflikt zur Ausschaffungs-Initiative ist nicht die einzige Baustelle. Eine weitere Hürde, die ein Rahmenabkommen fraglich macht: Geht es nach EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (63) und seinen Leuten, soll sich Bern im Abkommen verpflichten, den Kohäsionsbeitrag «regelmässig» zu zahlen, sagen mehrere Quellen.

Was ist das Rahmenabkommen?

Das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU ist derzeit in aller Munde und wird auf allen Ebenen heiss diskutiert. Doch was genau fällt eigentlich alles unter das Abkommen und was sind die Streitpunkte? Ausführliche Antworten gibt es hier.

Zwei Drittel der Unternehmen stellen sich in einer Umfrage hinter den Bundesrat, der mit der EU über ein Rahmenabkommen verhandeln will. (Symbolbild)
Zwei Drittel der Unternehmen stellen sich in einer Umfrage hinter den Bundesrat, der mit der EU über ein Rahmenabkommen verhandeln will. (Symbolbild)
KEYSTONE/GAETAN BALLY

Das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU ist derzeit in aller Munde und wird auf allen Ebenen heiss diskutiert. Doch was genau fällt eigentlich alles unter das Abkommen und was sind die Streitpunkte? Ausführliche Antworten gibt es hier.

In die Gespräche mit der EU involvierte Personen wollen zudem wissen, dass man in Brüssel nach wie vor Probleme habe mit unseren Kantonalbanken, den Gebäudeversicherungen und mit unseren Kraftwerken – also mit dem Umstand, dass die öffentliche Hand dort mitmischt.

Und nach wie vor streitet man auch über den Geltungsbereich des Rahmenabkommens. Geht es nach dem Willen der EU, soll selbst das Freizügigkeitsabkommen aus dem Jahr 1972 darunterfallen.

Damit wird es immer unrealistischer, dass das Abkommen, das den bilateralen Weg für die Zukunft sichern soll, noch in diesem Jahr abgeschlossen werden kann.

Schweiz soll Absichtserklärung abgeben

Das hat sich auch in Brüssel herumgesprochen. Daher drängt die EU laut mehrerer Insider nun auf eine «substanzielle Absichtserklärung». Darin würde die Schweiz weitgehende Verpflichtungen eingehen, sich beispielsweise eben verpflichten, die Ostmilliarde laufend zu zahlen. Der Bundesrat könnte innenpolitisch aber argumentieren, es sei noch nichts beschlossen. Allerdings: So unverbindlich wäre diese Absichtserklärung nicht. Sie müsse vor Bundesgericht und dem Europäischen Gerichtshof Bestand haben.

Die Schweiz lässt aber nicht alles mit sich machen: EU-Kreise betonen, Aussenminister Ignazio Cassis (57) habe in Brüssel deponiert, er werde niemals seinen Segen zu einem Abkommen geben, das im Schweizer Volk chancenlos sei. Von einem im Inland mehrheitsfähigen Rahmenvertrag ist man aber noch meilenweit entfernt.

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