«Challenge 2020» lautete der SBB-interne Codename. Was darunter zu verstehen war, offenbarte sich gestern: Es handelt sich um die Herausforderung, einen neuen Bahnchef zu finden. SBB-CEO Andreas Meyer (58) tritt spätestens Ende 2020 von seinem Posten zurück.
Doch schon jetzt geht die Suche nach seinem Nachfolger los. Für diesen bedeutet die Challenge 2020 etwas ganz anderes, denn auch dann sind noch einige Baustellen offen.
- Sicherheit:
«Die Sicherheit ist oberstes Gebot», pflegt Meyer zu sagen. Doch nach dem tragischen Tod eines Zugchefs Anfang August sind allerlei Mängel zum Vorschein gekommen. Das Vertrauen in die SBB ist angeschlagen. Eine spezielle Taskforce ist zwar im Einsatz. Doch der neue SBB-Chef wird alles daransetzen müssen, die Sicherheitsfrage in den Griff zu bekommen und Vertrauen zurückzugewinnen.
- Unterhalt:
Eng verbunden mit der Sicherheitsproblematik ist der Unterhalt von Flotte und Schienennetz. Letzteres wurde jahrelang vernachlässigt. 25 Prozent der Schweizer Gleise sind in einem «schlechten» Zustand, 13 Prozent gar «ungenügend», so der jüngste Netzzustandsbericht. Da besteht massiver Aufholbedarf.
- Flotte:
Die Beschaffung des neuen Fernverkehr-Doppelstöckers (FV-Dosto) von Bombardier ist ein jahrelanges Trauerspiel. Der Wackelzug sorgte bei manchen Passagieren für Übelkeit. Viel schlimmer: Die Dosto werden später geliefert als ursprünglich abgemacht. Eigentlich hätten die 59 Kompositionen schon Ende 2019 auf dem Netz fahren sollen. Jetzt soll es bis Ende 2020 klappen. Aktuell sind 19 FV-Dosto im Einsatz. Bis zum Fahrplanwechsel im Dezember sollen es 24 sein.
- Verspätungen:
Besonders im Hitzesommer 2019 kämpften die SBB wegen Gleisverformungen teils mit massiven Verspätungen. Mit 90,7 Prozent blieb die Kundenpünktlichkeit insgesamt zwar stabil, trotzdem besteht Verbesserungsbedarf. Ein Pünktlichkeitsprogramm wurde dieses Jahr eingeleitet. Darauf muss der neue Chef ein Auge halten.
- Lokführermangel:
Die SBB sind wie viele Unternehmen vom Fachkräftemangel betroffen. Besonders kritisch wird es aber bei den Lokführern. Hier fehlt der Nachwuchs, und eine Pensionierungswelle rollt an. Meyer räumte ein, dem Problem nicht ausreichend Beachtung geschenkt zu haben.
- Ausbau:
Die Politik diktiert den SBB den Ausbau des Angebots. Bis 2025 wird die Bahninfrastruktur für 6,4 Milliarden Franken ausgebaut. Diesen Sommer hat das Parlament weitere 13 Milliarden für den nächsten Ausbauschritt bis 2035 gesprochen – mehr als vom Bundesrat vorgesehen. Diesen Ausbau muss der neue Chef begleiten – und die Politik bei zu vielen Wünschen bremsen.
Flair für Bevölkerung und Politik
Dem neuen Chef wird es also bestimmt nicht langweilig. Für die Suche nach passenden Kandidaten engagiert SBB-Präsidentin Monika Ribar (59) nun einen Headhunter. Was das Anforderungsprofil betrifft, sei man sehr offen, so Ribar. Es müsse aber eine Person sein, die ein solch grosses und komplexes Unternehmen führen könne. «Sie muss aber auch ein Flair für die Bevölkerung und die Politik haben – sie muss alle mitnehmen.»
Giorgio Tuti (55), Präsident der Gewerkschaft des Verkehrspersonals, will jemanden, der «den Service public wieder ins Zentrum stellt». CVP-Verkehrspolitiker Martin Candinas (39, GR) wiederum betont: «Dem neuen SBB-Chef muss der Ausgleich zwischen Wirtschaftlichkeit und Service-public-Gedanke gelingen.»
Wichtig sei, die SBB mit den vorhandenen finanziellen Mitteln wieder zu stabilisieren, meint Walter von Andrian, Chefredaktor der «Schweizer Eisenbahn-Revue». «Das ist keine leichte Aufgabe.» Der Nachfolger solle daher schon Management-Erfahrung aus einem grossen Unternehmen mitbringen, aber auch das Schweizer Bahnsystem gut kennen. «Und er sollte gut zuhören können – den Mitarbeitern, den Kunden und den Geschäftspartnern.»
Für Meyers Vorgänger Benedikt Weibel (72) ist derweil klar: «Es muss zwingend jemand aus der Branche sein, der oder die sich am Service public orientiert. Ohne Branchenerfahrung klappt es nicht.» Namen will er aber keine nennen.
Mögliche Anwärter
Service public, Branchenerfahrung, Schweiz-Bezug. Infrage kommt nur jemand, der bei den SBB selbst oder den anderen Schweizer Bahnen arbeitet. Schaut man sich bei den hiesigen Privatbahn-Chefs um, käme zum Beispiel Renato Fasciati (44) infrage. Der Chef der Rhätischen Bahn war früher auch schon in der Unternehmensentwicklung der SBB Cargo tätig. Auch BLS-Chef Bernard Guillelmon (53) ist eine Option, gilt aber eher als Managertyp à la Meyer.
Aus der jetzigen SBB-Geschäftsleitung wäre Personalchef Markus Jordi (58) ein möglicher Kandidat. Ebenso die frühere CVP-Nationalrätin und jetzige Kommunikationschefin Kathrin Amacker (57). Sie wäre die erste Frau an der SBB-Spitze.
Weniger Lohn
Was sicher ist: Der oder die Neue wird sich mit einem tieferen Lohn als Meyer begnügen müssen. Dieser hat in den letzten Jahren meist über eine Million Franken verdient. «Der Lohn wird niedriger sein», so Ribar. Man werde sich an den Vorgaben des Bundes orientieren. «Eine Million ist die Obergrenze.»